Und wir spielen Stadt, Land, Kurz

 „Es schüsselt wieder“, meint Peter Hacker.
„Es schüsselt wieder“, meint Peter Hacker.APA/GEORG HOCHMUTH
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Kanzler und Regierungsparteien greifen das Wiener Modell an – Wiens SPÖ wehrt sich begeistert. Die Kluft zwischen Stadt und Land wird so nicht kleiner.

Manches währt ewig. Also sprach Andreas Khol an der Seite von Wolfgang Schüssel: „Eine Wahl kann man nur in Wien und in den großen Städten gewinnen.“ Der Kanzler aus Wien, den die Wiener Roten hassten, hatte die Eroberung der Städte durch die ÖVP beauftragt. Das war 1999. Wir schreiben 2019, und die Mission scheint noch immer nicht abgeschlossen zu sein. Beziehungsweise hat sie der zweite Kanzler, den die Wiener Roten hassen, widerlegt und abgesagt: Sebastian Kurz hat bewiesen, dass man Wahlen nicht in Wien, sondern vor allem in den großen Ländern gewinnen kann, in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark. Dabei hat Sebastian Kurz als Chef der lokalen Jungen ÖVP selbst in der Wiener Kommunalpolitik begonnen. Und dort hat er offenbar gelernt, was bis heute immer wieder durchkommt: eine starke Ablehnung des roten Wien, die viele in der Volkspartei eint. Und die sowohl im Wiener Rathaus als auch in den Sektionen inbrünstig erwidert wird.

Wie stark diese gegenseitige Abneigung ausgeprägt ist, haben die vergangenen Tage bewiesen: Wiens Sozialstadtrat kündigte unter Applaus der Grünen an, die gesetzliche Neuregelung der Mindestsicherung nicht umzusetzen, also ein Bundesgesetz zu ignorieren. Kurz reagierte scharf und erklärte einmal mehr, dass Bezieher von Mindestsicherungen auch mit Druck zurück auf den Arbeitsmarkt gebracht werden müssten. Die Formulierung, dass in nicht wenigen Familien nur die Kinder wegen des Schulbesuchs in der Früh das Bett verlassen würden, sorgte unter dem Hashtag #wienstehtauf für eine wahre Mobilisierungskampagne für das sogenannte Wiener Modell. So weit, so bekannt.

Ja, ein Kanzler sollte sachlicher argumentieren. Ja, es gibt Fälle, in denen Kinder allein aufstehen müssen. Ja, nicht jeder Bezieher von Mindestsicherung ist faul und schläft lang. Und nicht jeder ist krank und kann nicht arbeiten.

Was hinter diesem Streit, der ungewohnten Schnoddrigkeit von Kurz und der neuen persönlichen Positionierung Peter Hackers als Ersatz-Häupl steht, ist für Österreich möglicherweise aber weit problematischer: Die neue Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Laisser-faire und Leistungsgedanken, zwischen Zuwanderungsbekenntnis und Flüchtlingsstopp, zwischen Begegnungszone und Tempo 140 wird definitiv nicht kleiner, sondern größer. Besonders deutlich trat das Phänomen Wien (plus sein Speckgürtel und die Uni-Städte) versus Bundesländer (plus manch immer wieder gern vergessene Wiener Bezirke) bei der Bundespräsidentenwahl auf. Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer polarisierten durch einen ewigen Wahlkampf das Land. Ein prominenter Programmplaner des ORF hatte angesichts der neuen Zweifärbung in urban und nicht urban gar die Idee, die beiden größeren ORF-Kanäle derart zu positionieren und zu programmieren: auf ORF eins das Hipster-Programm mit Information, internationalen Formaten und moderner Hochkultur – also der Van-der-Bellen-Kanal. Auf ORF2 hätte Hofer demnach Pate stehen sollen – mit vielen regionalen Inhalten, Unterhaltung aus Österreich und Volksmusik. Dieser doch recht schlichte Plan blieb in den zweckmäßig geräumigen Schubladen auf dem Küniglberg. Doch der Graben bleibt.


„Es schüsselt wieder“, meint Peter Hacker, für den ein ordentliches Feindbild ein wichtiger Faktor in der Politics-Life-Balance darstellt, fast hoffnungsfroh in Richtung Kurz. Und wie in der Zeit der Wende scheinen die Wiener Genossen nicht etwa die FPÖ als Hauptfeind wie zuletzt auserkoren zu haben, sondern den ÖVP-Chef. Damals Schüssel, heute Kurz. Das könnte ein riskantes Spiel werden, motiviert es doch FPÖ-Wähler kaum bis wenig, deswegen SPÖ zu wählen, sondern sich höchstens der neuen Kurz-ÖVP zuzuwenden. Das mag Nervosität und Reibereien in die Bundesregierung bringen. Und es bewirkt noch eines: Eine Koalition zwischen den Kurz-Türkisen und der SPÖ, wie sie bisher vor allem auch Christian Kern verunmöglicht hat, bleibt so weiter unwahrscheinlich. Damit wird die Fortführung von Türkis-Blau in der Bundesregierung einzementiert. Was der Wiener SPÖ strategisch vielleicht gar nicht so unrecht ist.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2019)

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