Willkommen im Land mit dem besten Gesundheitssystem der Welt

Spitalsambulanz
SpitalsambulanzClemens Fabry
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Warum Ärzte in den Privatsektor oder ins Ausland ausweichen, ist kein Mysterium. Sondern die Folge eines grundlegenden Finanzierungsproblems.

Sprechen wir über das Land mit dem besten Gesundheitssystem der Welt. Der Ultraschall beim Gynäkologen beispielsweise gehört zu den aussagekräftigsten und häufigsten Untersuchungen. Von der Wiener Gebietskrankenkasse wird er aber nicht übernommen. Die Patientinnen müssen ihn bei der halbjährlichen Kontrolle selbst bezahlen. Bei einem Radiologen hingegen ist diese Untersuchung sehr wohl eine Kassenleistung. Wie das sein kann? Ganz einfach: Die Radiologen haben besser verhandelt als die Gynäkologen. Absurd? Es geht noch absurder.

Wenn jemand in Wien mit, sagen wir, Bauchschmerzen eine Spitalsambulanz aufsucht, dort von einem Arzt fünf Minuten untersucht wird, Tabletten verschrieben bekommt und wieder nach Hause geht, bekommt das Spital für diesen Patienten eine bestimmte Summe vom Land. Exakt dieselbe Summe erhält das Spital für einen Patienten mit Schmerzen in der Brust, bei dem ein EKG, eine Blutuntersuchung und ein Ultraschall durchgeführt werden müssen, ehe er Stunden später die Ambulanz verlassen darf. Wie denn das?

Nun, das funktioniert so: Ambulanzen erhalten vom Land für jeden Patienten denselben Pauschalbetrag, den das Land über Umwege von der Kasse refundiert bekommt. Ein Relikt aus den 1990er-Jahren. Weil aber bis heute nicht genau bekannt ist, welche Leistungen im ambulanten Bereich wie viel kosten, und nicht bei jedem Patienten von einem Notfall ausgegangen werden kann, ist dieser Betrag so niedrig angesetzt, dass die meisten Krankenhäuser das Jahresbudget für ihre Ambulanzen im ersten Halbjahr aufbrauchen. Danach werden die Leistungen de facto kostenlos erbracht, weswegen die Spitäler versuchen, die anfallenden Verluste über den stationären Bereich auszugleichen.

Was wiederum der Grund dafür ist, dass viele Leistungen, die kostengünstiger ambulant erbracht werden könnten, stationär erfolgen, um sie beim Land abrechnen zu können. Die Patienten werden also zumindest für eine Nacht aufgenommen. Denn sobald das passiert, wird nicht mehr pauschal nach Patient wie in den Ambulanzen, sondern (sinnvollerweise) nach erbrachter Leistung abgerechnet. Zudem gibt es keine Deckelung. Jede Leistung wird honoriert.

Das sind die Auswüchse der unzeitgemäßen, zum strukturellen Missbrauch verleitenden Finanzierung des österreichischen Gesundheitssystems. Ein so kompliziertes, ineffektives Modell gibt es in Europa sonst nur in Griechenland, alle anderen Länder haben die verschiedenen Töpfe zusammengelegt. Obwohl das auch in Österreich längst überfällig ist, scheitert die Umsetzung an der Blockade der Kassen und Länder, die keinen Einfluss verlieren wollen, und vor allem am mangelnden Durchsetzungswillen des Bundes.

Dabei würde die Finanzierung aus einer Hand viel Konfliktpotenzial aus dem System nehmen, und Patienten könnten dort behandelt werden, wo sie am besten aufgehoben sind – in einer Ordination, Ambulanz oder klinischen Station. Aber wie will man das Leuten klarmachen, die zulassen, dass niedergelassene Ärzte ihre Stammpatienten unnötigerweise einmal im Quartal zur (von der Kasse gut bezahlten) Spezialuntersuchung bitten, während in anderen Ordinationen Menschen im Ernstfall wochenlang auf dieselbe Untersuchung warten müssen, weil diese Ärzte ihr Kontingent wegen der Deckelung durch die Kasse aufgebraucht haben?

Immerhin wurde soeben die eingangs erwähnte Unsitte mit dem Ultraschall beseitigt, künftig ist er auch bei Gynäkologen eine Kassenleistung. Eine Maßnahme, die – und das sagt viel über die Weitsicht der Verantwortlichen – als großer Wurf gefeiert wird, anstatt einzuräumen, dass damit nur eines von vielen Löchern gestopft und sie seitens der Gynäkologen ultimativ eingefordert wurde, weil Kassenstellen unbesetzt sind und Wien ein Versorgungsproblem droht.

Wie im Übrigen auch bei Hausärzten. Oder Kinderärzten. Oder Psychiatern. Oder Anästhesisten. Weil viele ins Ausland oder in den Privatsektor gehen, anstatt in dem Land zu arbeiten, in dem ihnen das Studium finanziert wurde. Ja, reden wir ruhig über das Land mit dem besten Gesundheitssystem der Welt.

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