Leitartikel

Europas Ohnmacht in den Konflikten vor der Haustüre

Die EU-Staaten und auch die USA haben sich zuletzt in Libyen aus dem Spiel genommen.
Die EU-Staaten und auch die USA haben sich zuletzt in Libyen aus dem Spiel genommen.(c) REUTERS (ISMAIL ZITOUNY)
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Moskau und Ankara halten in Syrien – und nun auch in Libyen – die Fäden in der Hand. Die uneinigen EU-Staaten haben sich selbst aus dem Spiel genommen.

Mehr als ein Jahr tobten die Kämpfe. Jetzt sollen endlich die Waffen schweigen, soll der blutige Machtkampf zwischen der libyschen Regierung des Premiers Fayez al-Sarraj und General Khalifa Haftar beigelegt werden. Ägypten hat einen neuen Friedensfahrplan auf den Tisch gelegt. Doch die Türkei, die Sarraj unterstützt, zeigt sich skeptisch: Eine Waffenruhe in der jetzigen Situation würde nur Haftar eine Atempause verschaffen.

Dass Ägyptens Staatschef, Abdel Fattah al-Sisi, ausgerechnet jetzt in Libyen den Friedensengel spielen will, ist natürlich kein Zufall: Ägyptens Führung hatte gehofft, dass Haftar Tripolis erobern werde. Doch der General hat die Schlacht um die Hauptstadt verloren. Maßgeblich dazu beigetragen haben Ankaras Kampfdrohnen und in Syrien rekrutierte Söldner.

Die Militärhilfe Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Russlands reichte für Haftar nicht aus, um in Westlibyen zu siegen. Er kontrolliert aber weiterhin den Osten des Landes. Sein Alliierter Russland hat der Türkei bereits signalisiert, wie weit sie gehen kann und wo die rote Linie verläuft. So wie in Syrien sind nun auch in Libyen Moskau und Ankara die bestimmenden Mächte.

Dass die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Italiens sowie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in einer neuen Erklärung eine Waffenruhe fordern, mag gut gemeint sein. Viel Wirkung erzielt das aber nicht. Denn die EU-Staaten und auch die USA haben sich zuletzt in Libyen aus dem Spiel genommen. Washington lavierte und sandte widersprüchliche Signale aus: Offiziell unterstützten die USA Sarraj. Zugleich wollten sie auch mit Haftar ins Geschäft kommen.

Italien und Frankreich arbeiten in Libyen gegeneinander: Die Regierung in Rom setzt auf Sarraj und eine Reihe lokaler Machthaber. Sie erwartet von ihnen, dass sie Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa hindern. Zugleich gehört es seit Langem zu Italiens außenpolitischer Strategie, in der ehemaligen Kolonie auf der anderen Seite des Mittelmeeres mitzumischen – gerade auch, wenn es um Geschäfte mit Erdöl und Erdgas geht. Im Kampf um Einfluss und Bodenschätze steht Italien in Rivalität mit Frankreich. Paris erkennt offiziell die Regierung Sarraj an. De facto kooperiert es aber mit Haftars Truppen. Zuletzt liebäugelte auch Griechenland mit Unterstützung für den General – um so Ankaras Macht in Libyen und damit die türkischen Ambitionen auf Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer zurückzudrängen.

Dieses Wirrwarr an unterschiedlichen Interessen macht es den Europäern schwer, als einheitlicher Akteur aufzutreten – ganz egal, was in den Hauptstädten an gutem Willen gepredigt wird. Da halfen auch Deutschlands Friedensbemühungen wenig. Alle wichtigen internationalen Akteure verabschiedeten im Jänner beim Libyen-Gipfel in Berlin feierlich eine Erklärung. Sie versprachen, das – schon seit 2011 geltende – Waffenembargo endlich einzuhalten. Alles schien ermutigend. Doch nur in der Theorie. In der Praxis scherten sich die Unterstützer der libyschen Kriegsparteien nicht um die Vereinbarung, die sie in Berlin abgesegnet hatten. Die Waffenlieferungen gingen munter weiter. Erst am Mittwoch verhinderten türkische Kriegsschiffe, dass griechische Kräfte der EU-Mission Irini einen Frachter auf dem Weg nach Libyen kontrollierten.

Nach Syrien ist Libyen der zweite Konflikt vor der eigenen Haustüre, auf den die Europäer so gut wie keinen Einfluss haben. Zu lang haben sie sich von nationalstaatlichen Interessen treiben lassen, oder einfach zugeschaut, wie andere das Kommando übernehmen. Militärisch haben Ankara und Moskau in der Hand, was in Libyen geschieht. Doch mittel- bis langfristig können sie keine Stabilität bringen. Das zeigt sich auch in den neuen Protesten im darniederliegenden Syrien. Sowohl Russland als auch die Türkei sind wirtschaftlich zu schwach, um Syrien oder Libyen wieder auf die Beine zu helfen.

Das wäre die Chance der EU-Staaten, sich stärker einzubringen. Doch dafür müssten sie endlich an einem Strang ziehen. Sollte die Lage in Libyen völlig kippen, würde das der Nachbar Europa schmerzhaft zu spüren bekommen.

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