Juan Manuel Fangio: Ein Champ für alle Zeiten

(c) Archive Paolo D´Alessio
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Bevor Lewis Hamilton auf die Welt kam, war Juan Manuel Fangio schon fünfmal Weltmeister. Gesicherte Nachrichten von vorgestern: Evita Perón! Entführung!! Fidel Castro!!! Und wie alles wieder gut wurde

Fangio stammte aus dem argentinischen Süden, aus Balcarce, was sich ziemlich sperrig liest, aber etwas hübscher auszusprechen ist, etwa Balkarrße, wobei das feine Zischen des argentinischen ß den ganzen Unterschied ausmacht.
Das Städtchen Balcarce und der Mythos Juan Manuel Fangio gehen ineinander auf. Welch isoliertes, finsteres Nest Anfang der 1920-Jahre, wie unglaublich hart die Arbeit des Zehnjährigen, der um vier Uhr früh aus dem Bett gescheucht wurde, um noch etwas zu lernen, bevor er in der Schmiede als Lehrling antrat. Mit zwölf kam er in die Mechanikerwerkstatt, welche Maschinen mag man sich da vorstellen, und wie man ihnen zu Leibe rückte: „Das beste Werkzeug zum Bearbeiten eines Kolbens war ein handlicher Stein.“ Autofahren lernte er als Halbwüchsiger, als er Autos zu überstellen hatte, natürlich auf unbefestigten Straßen, und in der Regenzeit gab es glitschigen Belag bis tiefen Schlamm. Der Morast habe alles zu bieten, was einer fürs Autofahren lernen braucht, sagte Fangio: Das Reinfahren mit Schwung, Feingefühl für die unvorhersehbare Situation entwickeln, und das Wichtigste, ja nicht bremsen.

»„Wie ich gewonnen habe? Ich bin immer nur etwas schneller gefahren als der Zweitplatzierte.“«

Freunde und Verwandte finanzierten sehr gebrauchte US-Autos für erste Einsätze bei Straßenrennen. Natürlich half die affenverrückte Rennbegeisterung im Argentinien jener Jahre, und wenn ein Junge aus Balcarce es gar mit den Großkopferten aus Buenos Aires aufnahm, dann hatte das für die Menschen in diesem Erdäpfelnest was Heroisches. Ein 1939er-Chevy, der mehr Öl als Benzin brauchte, machte ihn im ganzen Land bekannt, aber zu Ende des Zweiten Weltkriegs war Fangio 34 Jahre alt und im großen internationalen Motorsport eine Null. Er hatte Europa noch nie gesehen und dort hatte keiner von ihm gehört.
In Argentinien begann die Perón-Diktatur. Seit „Evita“ wissen ja alle Bescheid: Perón hatte die Haare voll Brillantine und neigte zum Auszucken, seine schöne blasse blonde Frau war die Freundin der Hemdlosen, hatte es aber leider auf der Lunge und sang daher „Don’t Cry For Me, Argentina“. Mittendrin dürfen wir uns Fangio vorstellen.
Nur vor diesem Background war es möglich, in Jahren großer Not ein argentinisches Rennteam auszustatten und nach Europa zu schicken. Die Dinge kamen in Bewegung, als Fangio 1949 auf einem schlappen Vierzylinder-Maserati vier mittlere Rennen en suite gewann und dann eine Ferrari-Chance bekam. Er nützte sie tatsächlich, und in Buenos Aires war der erste Volksmassenempfang plus General Perón angesagt. 1951 war Fangio schon 40, nun immerhin Werksfahrer für Alfa Romeo, und gewann seine erste Weltmeisterschaft. Unfall in Monza 1952, drei Monate Gipsbett. Seither gibt es eine typische Fangio-Haltung, und in keinem Fall konnte der Champ über seine Schulter blicken. Der legendäre Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer schreibt in seinen Memoiren, wie er sich an ein Gespräch mit Fangio 1953 erinnert, wobei man sich fragt, in welcher Sprache dies stattgefunden haben soll, denn beide Herren waren fremdsprachenresistent:
„Wie wär’s diesmal, Señor? Im nächsten Jahr als Werksfahrer für Mercedes-Benz?“
Es ging um nichts Geringeres als das historische Rennsport-Comeback der Marke, die sich für die beste der Welt hielt und nur einen entsprechenden Auftritt in Plan hatte. In Fangios Mechanikerherzen gab es sowieso ein ganz spezielles Feeling für Mercedes. Er konnte lange Vorträge über die Vorteile des 170-Dieselmotors halten, bevor ein Nachkriegs-Silberpfeil noch auf dem Reißbrett stand. Verlässlichkeit war eine der überragenden Tugenden im Lebensbild des Juan Manuel Fangio, das galt für Menschen wie Maschinen. Irgendwie war er ein ganz altmodischer Mercedes-Diesel-Kunde. So fanden die Besten zueinander. Die hinreichend abgefeierte Rückkehr der Silberpfeile, ein Klassiker des deutschen Lesebuchs, geschah am 4. Juli 1954 beim Grand Prix von Frankreich in Reims. Das Datum fiel mit dem Endspiel um die Fußball-WM in Bern zusammen, Deutschland putzte Ungarn weg und war wieder ganz richtig auf der Welt. Gegen Ende der Saison 1954 führte Fangio derart haushoch in der WM (seiner zweiten) und ragte so monumental als Fahrerpersönlichkeit heraus, dass man sich fragte, wo ein neuer Held auftauchen könnte. Der war zum Glück schon unterwegs. Stirling Moss, geboren 1929, war der Sohn eines Zahnarztes, was überdurchschnittlich oft erwähnt wurde – man erwartet von Zahnarztsöhnen nicht, dass sie Rennen fahren.


Das Mercedes-Team für 1955: Fangio, Karl Kling, Hans Herrmann, Stirling Moss. Hauptgegner waren Ferrari (Farina, Hawthorn u. a.), Lancia (Ascari, Villoresi), Maserati (Behra, Musso) und Gordini.
Moss und der um 18 Jahre ältere Fangio fuhren drei Jahre gegeneinander, aber nur 1955 in der Intimität desselben Teams. Die Rollenverteilung war so klar, dass Moss völlig ungeniert der Spur des Meisters folgte. Und zwar so dicht, dass ihm von den Auspuffgasen schlecht wurde (Monaco), dass aufgewirbelter Dünensand bis in den Motor kam (Zandvoort) oder es Steinschlagschäden gab (Monza). Rennleiter Neubauer hielt ordentlich fest, dass er bei jeder dieser Gelegenheiten eine Verwarnung an Moss ausgesprochen hatte. Der hatte aber schon alles erreicht, was er wollte: „Beim Folgen von Fangios Linie habe ich mehr gelernt als alles zusammen in den Jahren zuvor.“
Man darf sich in Erinnerung rufen, dass dies die Blütezeit des Powerslide war: Die Motorleistungen waren sowohl genügend stark (290 PS) wie auch kontrolliert (kein Turbo) und die Reifen schlecht genug, um jenen sauberen Four-Wheel-Drift zu ermöglichen, der später mit Slicks und modernen Fahrwerken wieder verloren ging.
Stirling Moss: „Manchmal, wenn ich ihm mit minimalem Abstand folgte, ließ er den Wagen seitwärts in eine enge Kurve schmieren, so dass ich sein Gesicht sehen konnte. Ich schnitt ihm eine Grimasse, er grinste zurück, und dann wetzten wir los wie zwei junge Hunde.“
Wohin also mit der haushohen Überlegenheit? Mercedes sicherte Fangios dritten Weltmeistertitel, Moss wurde Zweiter. Vielleicht war das schon ein bisschen zu viel, jedenfalls lieferte es die Begründung für den überraschenden Ausstieg des Mercedes-Werkteams Ende 1955: Man habe einfach alles, alles gewonnen. Natürlich kam dazu, dass der Motorsport nach der Le-Mans-Katastrophe von 1955 (83 Tote) weltweit in Verruf gekommen war.
Ebenfalls Ende 1955 war das Lancia-Team moralisch und finanziell am Sand und verschenkte die komplette Grand-Prix-Technik an Enzo Ferrari, der zu jenem Zeitpunkt in der Formel 1 aus eigener Kraft absolut kein Land sah. Mit dem Lancia-Erbe hatte Ferrari sofort wieder Oberwasser und suchte den Besten, den er kriegen konnte. Fangio also.
Man kann sich gut vorstellen, dass dem bis zur Sturheit geradlinigen Argentinier das ganze Ränkespiel am Hofe Ferraris zuwiderlief, dass ihn die schauerlich schlechten Manieren des Italieners abstießen und dass er nach zwei Jahren sagenhafter Mercedes-Ordentlichkeit keine schlamperte Defektserie mehr hinnehmen wollte. Der Geizhals Ferrari musste Fangio schon allein deswegen gehasst haben, da dieser der Erste war, der bei den Gagenverhandlungen stur geblieben war. Bislang hatte ja immer die Masche gezogen, dass es eine Ehre sei, Ferrari zu fahren, aber der Argentinier hatte auf die Art der Bauern gesagt: Fangio hat Ehre genug.

Immerhin hatten Fangio und Ferrari sich nur für den gemeinsamen Zweck gefunden, die Weltmeisterschaft gegen Maserati zu erkämpfen, und dank einiger Ferrari-Defekte wurde das Finale viel spannender als beiden lieb sein konnte. Vor dem letzten Rennen in Monza führte zwar Fangio nach Punkten, aber auch Collins (ebenfalls Ferrari) und Behra (Maserati) hatten noch Chancen auf den Titel. So sehr Enzo Ferrari in seinem Team herum trickste, er sprach keine Stallorder aus. Fangio hatte Defekt, saß verhärmt in der Box und hatte keinen Wagen zum Umsteigen (wie es damals durchaus üblich war). Luigi Musso bekam zwar Signale zum Reinkommen, deutete aber ein Nein, kam dann zum Reifenwechsel und blieb im Auto hocken. Fangio stand daneben, „mit ausdruckslosem Gesicht“. Dann kam Collins herein, sah Fangio, sprang raus und diente dem Alten den Wagen an, – trotz seiner eigenen völlig intakten WM-Chancen. Fangio wetzte davon, wurde Zweiter hinter Moss und damit zum vierten Mal Weltmeister.
Für heutige Begriffe ist die Tat des Peter Collins unfassbar, sie ist in der Phantasie der modernen Rennszene einfach nicht mehr drin. Sie ist nur aus der Tradition des noblen Sports erklärbar, und aus dem britischen Wesen in seiner schönsten Erscheinungsform. Peter
Collins merkte dazu bloß an, dass er Fangio verehre und ihn als
Chef des Teams ansehe, außerdem sei er, Collins, noch so jung,
dass er auch später noch Weltmeister werden könne. (Leider nein, mit 27 stürzte er am Nürburgring zu Tode).
1957 kehrte Fangio zu Maserati zurück. Er sah sich den massiv anstürmenden Jungen gegenüber, vor allem den wilden Briten. Stirling Moss, Mike Hawthorn, Peter Collins, Tony Brooks – lauter Twens gegen den 46-jährigen Fangio, der nun unversehens als Einziger von der Vorkriegsgeneration übrig geblieben war. Auch in technischer Hinsicht kündigte sich die große Zeitenwende an: Erstmals tauchte ein Grand-Prix-Auto auf, das den Motor hinter dem Fahrer hatte. Der Cooper-Climax wog 375 kg, so viel zum Thema Leichtbau.
Fangio hatte die Gabe zum richtigen Zeitpunkt Zeichen zu setzen, an denen die anderen zerschellen würden. Als sie glaubten, den Alten dort am ehesten packen zu können, wo es am allermeisten auf Kondition, Kraft und Tollkühnheit ankam, also am alten Nürburgring, hob sich Fangio plötzlich auf überirdische Weise über alles, was man bisher gesehen und erlebt hatte. Nach einem verpatzten Tankstop, fast eine Minute im Hintertreffen, fuhr Fangio auf den letzten acht Runden pausenlos Rundenrekorde, nahm den Ferraris auch gleich zehn Sekunden pro Runde ab, überholte beide in der vorletzten Runde und setzte mit 9:17,4 Min. (Schnitt 147,8 km/h) ein Denkmal von einem Rundenrekord für den noch an keiner Stelle entschärften Nürburgring. Dies war auch der fünfte Weltmeistertitel.

1958 wurde Fangio in Kuba gekidnappt. Etliche Gruppen führten im Sinn Fidel Castros, der aus der Sierra vorrückte, auch in den Städten einen Guerillakrieg gegen das Battista-Regime. Eines dieser Kommandos hielt es für eine schlaue Idee, die Welt auf die heilige Flamme der Revolution aufmerksam zu machen, indem man den fünffachen Automobilweltmeister kassierte. Natürlich am Vortag des Grand Prix von Havanna, damit er den Leuten auch wirklich abginge.
Heute sehnt man sich nach solchen Geiselnahmen, so kultiviert, mit tadellosen Manieren („wir töten Sie nur, wenn Sie zu flüchten versuchen, Señor“), artigen Komplimenten, und total verklärt vom romantischen Ideal der guten Sache. Fangio spielte den väterlichen Berater der hitzigen Burschen, damit sie nicht die Nerven wegschmissen. Er wurde tatsächlich unversehrt freigelassen, sah auch in der Entführung den Willen Gottes (immerhin hatte es im Rennen einen schaurigen Unfall mit ein paar Toten gegeben, wer weiß . . .) und nannte die Entführer seine Freunde.
Interview im kubanischen Staatsfernsehen: „Würden Sie Ihre Entführer wiedererkennen?“
„Ach, wissen Sie, als Rennfahrer lernt man so viele Menschen kennen . . .“, der Capo der Entführer wurde später Minister und entschuldigte sich beim argentinischen Volk für die Unhöflichkeit, dessen Helden inkommodiert zu haben, und Fangio selbst bekam immer wieder Ansichtskarten aus Havanna und dachte sicherlich, schade, dass die Jungs es so vermurkst haben, aber er würde nie etwas sagen, seit Perón streifte er an Politik nicht mehr an. Sehr zu denken gab ihm damals, dass diese Entführung ihn in den USA ungleich berühmter machte als seine fünf Weltmeistertitel. Ein Auftritt in der Ed-Sullivan-Show hatte mehr Echo als alle Siege aus zehn Jahren. Er kam aufs Titelbild der „Time“. Fangio, hochverehrt in allen Racing-Szenen der Welt, blieb der Sohn eines Handwerkers ganz hinten aus der Pampa, und er hat niemandem was anderes vorgemacht. Das hat er durchgezogen, in allen Sprachen, die zu verstehen ihm nicht wichtig waren, und das hat ihm jene Würde gegeben, die auch noch den alten Herrn strahlen ließ. Zu seinem Tod im Juli 1995 läuteten die Glocken in der Hauptstadt und jedenfalls in den Städten, die schon früh eine Patenschaft auf den jungen Fangio übernommen hatten, Balcarce, Mar del Plata, Rosario.

Juan Manuel Fangio

* 1911 Balcarce
+ 1995 Buenos Aires

Formel-1-Weltmeister:
1951 Alfa Romeo
1954 Mercedes
1955 Mercedes
1956 Ferrari
1957 Maserati

Bestes Start-/Sieg-Verhältnis der Formel1:
Fangio (51 Starts, 24 Siege, Quote 0,47), Lewis Hamilton (228/72 = 0,32), Michael Schumacher (307/91= 0,3), Alain Prost (199/51 = 0,26), Ayrton Senna (161/41 = 0,25).

In der Gesamtzahl der WM-Titel ist Michael Schumacher unerreicht (7), gefolgt von Fangio und Hamilton (je 5), Alain Prost und Sebastian Vettel (je 4), Jack Brabham, Niki Lauda, Nelson Piquet, Ayrton Senna und Jackie Stewart (je 3).

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