Stadtbild

Volk, Herrschaft und Herr Polybios auf dem Donaufeld

Demos? Ochlos? Kunstprojekt im Donaufeld.
Demos? Ochlos? Kunstprojekt im Donaufeld.(c) Wolfgang Freitag
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Von einer „Gartendemokratie“ im Glashaus ohne Glas zum Ernst des kommenden Sonntags.

„Volksherrschaft“. Ein Schild mitten im Nirgendwo. Ein Schild mitten auf dem Donaufeld. Auf 60 Wiener Hektaren im Übergang. Nicht mehr landwirtschaftlicher Nahversorger der Stadt, noch nicht urbanes Quartier mit 6000 Wohnungen. Und genau hier dieses Schild: „Volksherrschaft“. Als wär es ein ironischer Kommentar, wie viel, das heißt, wie wenig doch das Donaufelder Volk zu sagen hatte in der Entscheidung, was auf seinem Boden künftig zu tun und was zu lassen sei. In Wahrheit freilich Teil des Projekts einer Künstlergruppe, die hier seit einem Jahr in einem aufgelassenen Glashaus eine „Gartendemokratie als künstlerisch-politisches Experiment“ errichtet sehen will. Auf Zeit zumindest.

So weit, so spielerisch. Im landesweiten Ernstfall des kommenden Sonntags freilich gewinnt das Schild, gewinnt die Idee der Volksherrschaft und also der Demokratie deutlich härtere Kontur. Immerhin ist da ein ganzes Staatsvolk dringlich aufgerufen, von seinem vornehmsten Herrschaftsrecht Gebrauch zu machen: jenem, seine Volksvertreter zu erwählen. Und das angesichts düsterer Visionen, die Demokratie da und dort vor dem Abgrund, wenn nicht gar ein Stück weiter sehen.

Interessant, wie ein Herr namens Polybios vor mehr als 2000 Jahren volksherrschaftliche Dinge sah: Der wusste sorgsam die Herrschaft eines Volks, das nach größtem Gemeinwohl strebt, in seiner Sicht Demokratie im eigentlichen Sinn, von jener zu unterscheiden, in der Eigennutz und Habsucht das politische Handeln der Völkler treibt – eine Pervertierung des demokratischen Gedankens, der er den wenig charmanten Namen „Ochlokratie“, will sagen „Pöbelherrschaft“, gab.

Die „Volksherrschaft“ auf dem Donaufeld wird Anfang Oktober zu Ende sein. Ein neuer Abschnitt jener im ganzen Land wird da gerade begonnen haben. Ob die eines Ochlos oder Demos wird die Zukunft weisen.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2019)

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