Opfer und das Schweigen der Justiz

Josef Moser
Josef Moser APA/GEORG HOCHMUTH
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Inwieweit müssen Opfer von Straftaten über laufende Ermittlungen informiert werden? In dieser Frage kämpfen Neos und Jetzt gegen Justizminister Josef Moser.

Wien/Innsbruck. Die Anlassfälle sind tragisch. Es geht um mutmaßliche ärztliche Kunstfehler. Und daran anknüpfende strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck. Ermittlungen, die ohne Wissen der Opfer geführt – und mittlerweile eingestellt – wurden. Eine umstrittene Bestimmung der Strafprozessordnung (StPO) fördert das Schweigen der Staatsanwälte. Doch das Justizressort hält an dieser Bestimmung fest.

Einer der Anlassfälle ist besonders tragisch. Diesen zeigt der ehemalige geschäftsführende Oberarzt der Uni-Klinik Innsbruck, Arnulf Benzer (er ist mittlerweile in Pension), auf: Im April 2012 wurde eine 30-jährige Patientin, die kurz zuvor ihr zweites Kind auf die Welt gebracht hatte, nach einer Hirnblutung mutmaßlich falsch behandelt. Die Frau ist seither behindert. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelte – und legte den Fall ad acta.

Auch Angehörige tappten im Dunkeln

Der springende Punkt: Obgleich Benzer, er ist Facharzt für Anästhesie, den Fall umgehend an die Verfolgungsbehörden herangetragen und nachvollziehbar dargestellt hat, wurden „nur“ Ermittlungen gegen unbekannte Täter geführt. In der StPO heißt es (Paragraf 70): „Sobald ein Ermittlungsverfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten geführt wird, hat die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft Opfer über ihre wesentlichen Rechte zu informieren.“

Aber wie gesagt: Die Ermittlungen in diesem (und auch in einem weiteren) Fall liefen ja gegen „Unbekannt“. So unterblieb die Verständigung des Opfers und seiner Angehörigen. Der Oberarzt wurde nicht einmal einvernommen. Und erfuhr auch nichts. Die Frau, die seither auf Pflege angewiesen ist, und ihre Angehörigen mussten annehmen, dass bei der ärztlichen Behandlung alles medizinisch einwandfrei abgelaufen sei; dass sie einfach großes Pech gehabt habe – und dass die eingetretenen negativen Folgen unabwendbar gewesen seien.

Hätte die Frau von der Staatsanwaltschaft die Information bekommen, dass sie im strafrechtlichen Sinne zum Opfer geworden ist, dann hätte ihr auch erklärt werden müssen, dass sie Informationsrechte hat. Etwa das Recht auf Akteneinsicht. Oder das Recht, sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen. Letzteres dient der Geltendmachung von Schadenersatz.

Zahlen sprechen deutliche Sprache

Damit so etwas nicht mehr vorkommt, hat Jetzt-Mandatar Alfred Noll eine parlamentarische Anfrage an Justizminister Josef Moser (von der ÖVP nominiert) gestellt. Darin wurde zunächst nach Zahlen gefragt. In wie vielen Verfahren gegen unbekannte Täter (UT-Verfahren) zuletzt die Verständigung der Opfer unterblieb, wurde vom Minister zwar nicht beantwortet („keine strukturiert auswertbaren Daten“). Aber allein die Anzahl der UT-Verfahren spricht eine deutliche Sprache: 2017 (die Zahlen für 2018 sind noch nicht vollständig ausgewertet) fielen in Österreich 267.037 derartige Verfahren bei den Behörden an. 2016 waren es 297.083, im Jahr 2015 sogar 306.672. Eben diese Verfahren werden in der Praxis zum überwiegenden Teil eingestellt oder abgebrochen. Die Anfragebeantwortung bestätigt das.

Die eigentliche Frage ist aber, ob nun Fälle wie jener, den der Oberarzt aufgezeigt hat (Benzer engagiert sich mittlerweile auch selbst für die Partei Jetzt), Konsequenzen haben. Konkret: ob Paragraf 70 der Strafprozessordnung geändert wird. Hier holten sich Noll und Co. einen Korb. Wie der Minister nun aktuell antwortet, sei „eine Novellierung des § 70 StPO nicht geplant“.

Die Begründung ist interessant: Es wird auf eine andere Gesetzesstelle (§ 194 StPO) verwiesen. Dort wird geregelt, dass der Staatsanwalt kurz vor der (beabsichtigten) Einstellung eines Strafverfahrens alle Personen verständigen muss, die das Recht haben, eine Fortführung des Verfahrens zu verlangen. „Also Opfer“, schreibt Moser.

So gesehen können Opfer gleichsam in letzter Minute doch noch zu ihrem Recht kommen. Der Staatsanwalt muss ihnen am Schluss seiner Erhebung mitteilen, dass er vorhat, das Verfahren zu schließen. Ist das im gegenständlichen Fall (und in dem erwähnten zweiten Fall) geschehen? Nein!

Damit sind also der Staatsanwaltschaft Innsbruck unangenehme Pannen unterlaufen. Laut Moser habe die Staatsanwaltschaft ihre Verständigungspflicht „offenbar fehlerhaft ausgelegt“. Die Opfer sollen nun nachträglich verständigt werden. Ob diese versuchen werden, sich an der Staatsanwaltschaft schadlos zu halten, ist derzeit offen.

„Moser muss hier tätig werden“

Noll zur „Presse“: „Die Anfragebeantwortung zeigt, dass Opfer von Straftaten nicht ausreichend informiert werden. Sei es nun, weil die Staatsanwaltschaft Fehler macht, oder weil die StPO das gar nicht vorsieht.“ Und: „Moser muss hier tätig werden.“

Indessen will auch die mit den Neos kooperierende Abgeordnete Irmgard Griss, dass Opfer prinzipiell über die Einleitung von Ermittlungen informiert werden – auch wenn „nur“ gegen „Unbekannt“ ermittelt wird. Griss hat dazu einen Initiativantrag auf Gesetzesänderung im Parlament eingebracht. Zur „Presse“ sagt sie: „Die bestehende Regelung ist eine Ungleichbehandlung und widerspricht dem Opferschutz.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2019)

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