Wie gefährdet sind Wiens Einkaufsstraßen?

Die Passanten auf der Wiener Mariahilfer Straße sehen die Terrorbedrohung – bisher – eher gelassen.
Die Passanten auf der Wiener Mariahilfer Straße sehen die Terrorbedrohung – bisher – eher gelassen.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nach der Lkw-Terrorfahrt von Stockholm sehen Österreichs Sicherheitsbehörden (noch) keinen Anlass für zusätzlichen Schutz. Einkaufsmeilen, so die Überlegung, seien dafür nicht nur zu groß, es gebe auch zu viele.

Einen Tag, nachdem in einer Einkaufsstraße mitten in Stockholm ein Lastwagen in eine Menschenmenge raste, flanieren in Wien hunderte Personen die Mariahilfer Straße entlang: „Es herrscht Normalbetrieb“, sagt ein Streifenpolizist unweit des Gürtels, der, wie jeden Samstag, auf der größten Einkaufsstraße der Hauptstadt unterwegs ist.

Die meisten Passanten machen sich keine Sorgen. Eine Mutter ist trotz des unguten Gefühls hier. „Ich wäre lieber nicht hergekommen“, sagt die Frau, die auf der Bank vor einem Geschäft eine kurze Pause einlegt. „Aber ich habe mich dem Druck der Familie gebeugt.“

Wenige Schritte weiter verwehren sich zwei Frauen gegen Angst und Terror: „Wenn man sich der Angst hingibt, kann man nirgends mehr hingehen. Dann muss man sich zu Hause einsperren.“ Und auch ein junger Mann mit Einkaufssackerln will sein Verhalten keinesfalls ändern: Es sei das Verhalten der Terroristen, das es zu ändern gelte. Und er gibt sich nüchtern: „Etwas wie in Stockholm kann überall und jederzeit passieren“, sagt er. „Es gibt auch keine wirksame Prävention.“

Das ist ein Schluss, zu dem auch die Sicherheitsbehörden nach der Analyse der Ereignisse in der schwedischen Hauptstadt gekommen sind. Daher leitet das Innenministerium aus dem mit einem Lkw durchgeführten Anschlag erstens keine veränderte – weil ohnedies permanent und abstrakt vorhandene – Bedrohungslage ab. Und sieht zweitens keinen Grund, unmittelbar und anlassbezogen weitere als die ohnedies vorhandenen Maßnahmen zur Terrorabwehr einzuführen.

Ist Österreich damit – wie Kritiker in unterschiedlichen Internet-Debatten nun meinen – zu sorglos? Um das beurteilen zu können, muss man die dahinterstehenden Überlegungen und Entscheidungsmechanismen kennen. Zur Darstellung bietet sich ein Vergleich mit der Zeit nach dem – ebenfalls mit einem Lkw durchgeführten – Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 an (siehe Seite 4). Damals ließen die Behörden dem Zwischenfall gleich mehrere, unmittelbare Maßnahmen folgen: So wurden zum Schutz von Christkindlmärkten im ganzen Bundesgebiet „geschwindigkeitsbremsende Vorrichtungen“ installiert. Das reichte von taktisch klug abgestellten Fahrzeugen vor Märkten in den Bundesländern, bis hin zu massiven Betonbarrieren vor dem Wiener Rathaus. Weiters erhöhten die Polizeikommanden die generelle Einsatzbereitschaft der Sicherheitskräfte. Warum jetzt nicht?

Vergleich mit Berlin. „Weil sich der zeitliche und örtliche Rahmen im Fall Stockholm nicht auf ein vertretbares Maß einschränken lässt“, sagt eine informierte Quelle aus dem Behördenapparat der „Presse am Sonntag“. In anderen Worten bedeutet das, dass sich besondere Schutzmaßnahmen auf Grund des vermuteten erhöhten Risikos im vergangenen Dezember auf Menschenansammlungen (konkret Märkte) und eine bestimmte Dauer (Weihnachtszeit) fokussieren ließen. Das ganzjährige Abriegeln aller Einkaufsstraßen zwischen Wien und Bregenz jedoch sei ein Ding der Unmöglichkeit und unverhältnismäßig.

Der Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer beschrieb das Dilemma bereits vor einigen Monaten am Beispiel der Diskussion, ob denn nicht sogenannte Poller Zufahrten zu belebten Orten großflächig abriegeln, und damit Zwischenfälle wie jenen in Berlin (oder nun Stockholm) verhindern könnten.

„Im Einzelfall wahrscheinlich ja“, so seine Einschätzung in einem Gastbeitrag in der „Presse“. „Aber systemisch gesehen nur begrenzt. Denn die jihadistischen Terroristen der 2010er-Jahre sind anarchisch lernfähig. Ihr Vorgehen hat sich diversifiziert, und sie passen sich chamäleonartig den Präventionsmaßnahmen der abwehrenden Sicherheitsbehörden an.“

Bevölkerung bisher gelassen. Auch die Bevölkerung scheint die Bedrohung durch den Einsatz von Fahrzeugen als Terrorwaffen noch gelassen zu sehen. „Die Stimmung in den Geschäftsstraßen ist nach wie vor gut“, schildert Guido Miklautsch, Leiter des Wiener Einkaufsstraßenmanagements, die Lage. Wünsche nach mehr Schutz vor möglichen Terrorfahrten seien ihm weder seitens der Kunden, noch aus dem Mund von Geschäftsleuten bekannt.

Die – aus Sicht der Behörden – beste Strategie zur Vorbeugung von Anschlägen ist die aufwendige Überwachung sogenannter Rückkehrer aus den Jihad-Gebieten. Derzeit stehen 296 solcher Personen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Doch auch das erfolgt nicht lückenlos. Dafür wäre pro Überwachter Person nämlich ein mehrköpfiges Team von Spezialisten für Observationen notwendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2017)

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