„Es wird schön langsam gefährlich“

INTERVIEW. Außenpolitik-Experte Karaganow beklagt, dass nicht einmal im tiefsten Kalten Krieg die Kommunikation zwischen Moskau und dem Westen so schlecht war wie heute.

Die Presse: Was sind die Gründe für die wachsenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen?

Sergej Karaganow: Erstens: Russland wird stärker und sucht bewusst nach einem anderen modus operandi mit dem Westen als bisher. Die Neunzigerjahre sind vorbei, als Russland schwach war und wie ein Bettler durch die Weltgeschichte stolperte. Zweitens: Das Gleichgewicht der Kräfte im Energiesektor hat sich in den vergangenen zehn Jahren vom Westen zu den Öl- und Gasproduzenten verlagert. Russland ist ein Symbol dieses Wandels.

Drittens: Die USA haben das Irak-Debakel am Hals, Europa steckt in einer Identitätskrise. Der Westen fühlt sich schwach, verwundbar, in der Defensive und neigt dazu, zurückzuschlagen. Viertens: Es gibt ein tiefes Misstrauen Russlands dem Westen gegenüber. Denn es herrscht der Glaube vor, dass der Westen die Schwäche Russlands ausgenutzt hat, um uns harte Reformen aufzuzwingen und um die Nato zu erweitern. Auch im Westen gibt es tiefes Misstrauen Russland gegenüber. Fünftens: Wir kommunizieren nicht. Nicht einmal in den schlimmsten Phasen des Kalten Krieges war die Kommunikation so schlecht wie heute.


Sehen Sie also auch auf russischer Seite Versäumnisse?

Karaganow: Ja. Und das gegenseitige Misstrauen wird schön langsam gefährlich. Russland und der Westen sehen sich wachsenden globalen Herausforderungen gegenüber, die sie gemeinsam angehen sollten. Stattdessen wird die Kooperation immer schwächer und das Misstrauen immer größer Wir haben zwar gegenwärtig keinen neuen Kalten Krieg, aber eine neue Epoche der Konfrontation. Die ist deshalb so gefährlich, weil es keine klaren Spielregeln gibt.


All das sollte sich doch eigentlich leicht lösen lassen: gemeinsam an einen Tisch sitzen und reden.

Karaganow. Zuallererst müssen wir verstehen, dass wir uns in die falsche Richtung bewegen, eben in eine neue Epoche der Konfrontation. Die meisten Fragen, die uns gegenwärtig entzweien, sind keine fundamentalen Streitpunkte: die Schwäche des Westens, die neue Stärke Russland – das sind doch nur normale Entwicklungen, die temporäre Anpassungen erfordern. Der Konflikt Freiheit gegen Kommunismus – der war dagegen noch fundamental.


Russland zeigt seit ein paar Monaten wieder mit Vorliebe seine militärischen Muskeln. Besteht nicht die Gefahr, dass wir in einen Rüstungswettlauf hineinschlittern?

Karaganow: Eigentlich hat er schon begonnen. Im vergangenen Jahr haben die weltweiten Rüstungsausgaben wieder das Niveau der Endphase des Kalten Krieges erreicht. Aber ich glaube nicht, dass Russland wirklich wieder in ein Wettrüsten eintreten will. Das ist nicht in unserem Interesse.

Wer hat angefangen?

Karaganow: Die Nato hat nie aufgehört, mit Flugzeugen und U-Booten entlang der russischen Grenzen und Gewässer zu patrouillieren. Was Präsident Putin und seine Leute zeigen wollen, wenn sie wieder Bomber über die Nordsee schicken, ist: Wir können das noch, wir spielen wieder mit. Ich halte das übrigens nicht für besonders klug. Zwar soll dadurch niemand bedroht werden. Aber in dieser neuen Epoche der Konfrontation und des Misstrauens könnte jeder einzelne, dumme Akt einen Konflikt auslösen.


Gibt es den in der heutigen russischen Außenpolitik noch so etwas wie eine Ideologie?

Karaganow: Die heutige Ideologie Russlands ist der Kapitalismus, ist die Restauration der Macht und ist es, den Interessen des russischen Kapitals zu dienen. Eine gute Ideologie, nicht wahr? (lacht) Aber es zeichnet sich doch ein gewisser ideologischer Wettstreit ab, der allerdings nicht von Russland ausgeht. Einige westliche Analytiker sprechen schon vom Ringen zwischen den alten liberalen Demokratien und den neuen kapitalistischen, autoritären Staaten, die sich im Aufwind befinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2007)

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