USA: Bis zur sexuellen Ausrichtung

(c) AP (Charles Dharapak)
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Seit den Anschlägen vom 11. September ist kaum noch etwas privat. Von den Büchern, die jemand liest, bis zu privaten Vorlieben – die US-Behörden haben Zugang zu fast allen persönlichen Daten.

WASHINGTON. Die Polizei fand den Fingerabdruck auf den Überresten einer der Rucksäcke, die an dem Märzmorgen 2004 in den Pendlerzügen in Madrid explodiert waren. 191 Menschen starben beim folgenschwersten Terroranschlag in der Geschichte Europas. Das FBI war nur allzu bereit, in dem Fall zu helfen, und fand tatsächlich einen US-Bürger, auf den der Fingerabdruck passte.

Am Ende stellte sich die Spur als falsch heraus, der Verdächtige, ein Muslim aus dem Bundesstaat Oregon, ging nach zwei Wochen Haft frei. Bemerkenswert an dem Fall war nicht nur, dass das FBI alle Hinweise auf die Unschuld des Mannes ignorierte. Bemerkenswerter war, was die Exekutive alles gegen einen völlig Unbescholtenen vorbringen konnte: Unter anderem wusste die Polizei sogar vom Inhalt eines monatelang zurückliegenden Telefongesprächs.

„Seit dem 11. September ist jeder Bürger ein potenzieller Terrorist, und dementsprechend verhält sich unsere Exekutive“, sagt ein Mitarbeiter der Bürgerrechtsorganisation ACLU in Washington. „Die Polizei weiß alles über jeden einzelnen Bürger und kann seine Aktivitäten in Echtzeit verfolgen.“

Wer liest welche Bücher

Welche Bücher und Zeitschriften jemand liest; wo er einkauft; mit wem und wann er telefoniert, teils sogar, was er in dem Gespräch sagt; welche Seiten er im Internet anschaut – all diese Informationen sind für die Polizei zugänglich, in den meisten Fällen sogar ohne richterliche Genehmigung.

„Der Überwachungsstaat, von dem George Orwell nur geträumt hat, ist Realität geworden, und er übertrifft sogar den Großen Bruder“, erklärt Robert O'Harrow, Autor des Buches „No Place to Hide“. Nach den Terrorattacken in New York und Washington erhielt die Exekutive weitreichende Möglichkeiten, um die Bevölkerung vor neuen Angriffen zu schützen. Und das bedeutet, alles über jeden zu wissen, um so die potenziellen Terroristen aussieben zu können.

Wie weit man im Namen der Terrorprävention gehen kann, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2003. Damals gab es eine unspezifische Drohung gegen Las Vegas. Um die mutmaßlichen Terroristen zu finden, überprüfte das FBI alle Menschen, die zu dem Zeitpunkt in der Stadt waren: Hotels, Mietwagenfirmen, Fluglinien mussten die Daten ihrer Gäste und Kunden übergeben, die mit den Datenbanken von Terrorverdächtigen und Kriminellen abgeglichen wurden. Die Spur verlief im Sand.

In 199 Datenbanken haben 50 Regierungsbehörden Details über Bürger gespeichert. Das geht von simplen Verkehrsstrafen und Büchereidaten bis zu Flug- und medizinische Daten. Zusätzlich hat man Zugriff auf die Computer von Privatfirmen wie etwa „Acxiom“ und „ChoicePoint“ Der nicht vorhandene Datenschutz in den USA macht es möglich, dass diese Firmen detaillierte Personeninformationen für Marketingzwecke sammeln: Abonnement-Listen; Kreditkartendaten; Gesundheitsdaten (welche Medikamente jemand nimmt); wie viel jemand verdient; der Wert des Hauses; Namen und Geburtsdaten der Kinder; welches Auto jemand fährt; sogar über die sexuelle Ausrichtung kann man Auskunft erhalten (dank Daten von Sexgeschäften).

Die NSA lauscht mit

Will die Exekutive Zugang, muss sie nur einen sogenannte „National Security Letter“ schreiben. Das FBI kann damit – ohne Gerichte einbeziehen zu müssen – Unterlagen anfordern. Seit 2003 tat es das 150.000 Mal.

Teils genügt es freilich schon, an den Patriotismus von Firmen zu appellieren, um sich deren Mitarbeit zu sichern, wie etwa bei einer der größten Abhöraktionen der US-Geschichte. Die National Security Agency (NSA) bekam so ab 2003 von AT&T Zugang zu den Telefon- und Internetdaten der Firma. In einem speziellen Raum, 641A, des AT&T-Büros in San Francisco installierte der Geheimdienst einen „Splitter“, der sämtliche Telefon- und Internetdaten an die Behörde weiterleitete. Andere Telefonfirmen lieferten bereitwillig Verbindungsdaten (wer wann wen anrief) ihrer Kunden.

Aus diesen Daten filterte der Geheimdienst verdächtiges Verhalten heraus: Besuchte jemand oft radikale islamische Internet-Seiten löste das ebenso Alarm aus wie die Verwendung bestimmter Wörter oder der Anruf bei gewissen Telefonnummern.

US-Präsident George Bush erlaubte dem Dienst gar, Telefongespräche ohne jede richterliche Genehmigung abzuhören, falls einer der Personen ein Terrorverdächtiger ist. Als die Anordnung bekannt wurde, gab es heftige Diskussionen. Diese Woche einigte sich der Kongress auf eine Fortsetzung der Praxis, vorausgesetzt allerdings, ein Richtersenat stimmt zu. Die Telefonfirmen, die der NSA so bereitwillig Zugang zu ihren Daten gaben, wird für ihr illegales Verhalten Immunität gewährt.

Beschränkungen für den geheimsten US-Geheimdienst (die Abkürzung NSA wird gerne spöttisch mit „No such Agency“ übersetzt) gelten allerdings nur, wenn US-Staatsbürger involviert sind. Bei Ausländern hat die NSA völlig freie Hand und macht von ihren Möglichkeiten großzügig Gebrauch, wie eine Untersuchung des europäischen Parlaments 2001 ergab.

Unter dem Codenamen „Echelon“ fängt die NSA jedes Telefongespräch, jedes E-Mail und jedes Fax ab. Diese enormen Datenmengen werden von den Computern in der Zentrale in Fort Meade bei Washington nach vorgegeben Daten durchsucht: Entweder nach Anrufen, die von einem bestimmten Anschluss aus geführt wurden; nach der Stimme einer bestimmten Person; sogar nach Stichworten (Bush, Attentat, Bombe usw.) kann die NSA suchen. „Es gibt wenig, das man in Filmen sieht und das die National Security Agency in der Realität nicht kann“, sagt der Journalist James Bamford, der mit „Puzzle Palace“ das Standardwerk über die NSA schrieb.

Suche nach Terroristen

Gegen alle Bedenken von Datenschützern und Bürgerrechtsorganisationen verteidigen die US-Dienste die umfassenden Rechte: „Wären diese Mechanismen schon vor dem 11. September 2001 in Kraft gewesen, wären die Anschläge möglicherweise zu verhindern gewesen“, heißt es in einer Stellungnahme der US-Geheimdienste vor der Parlamentskommission, die die Terrorattacken untersuchte.

Gerne verweist man auf ein Pentagon-Programm namens „Able Danger“. Mit der Vernetzung von Computer-Datenbanken und mit Hilfe einer raffinierten Rasterfahndung versuchte das Militär ab 1999, potenzielle Terroristen in der amerikanischen Bevölkerung zu finden. Tatsächlich sei man so auf den Anführer der Terroristen, Mohammad Atta, gestoßen. Man habe die Information aber nicht mit dem FBI teilen können, weil das aufgrund der damaligen Gesetzeslage nicht erlaubt gewesen sei, erklärte das Militär.

Nach einer monatelangen Untersuchung stellte der US-Kongress schließlich fest, dass die Behauptung nicht stimmt: Erst nach den Anschlägen habe man Mohammad Atta in der Datenbank gefunden.

GLÄSERNER EU-BÜRGER. Internet und Flugzeug

„Europaweite Überwachung“ ist laut EU-Kommission kein Thema. Dennoch arbeitet die oberste Verwaltungsbehörde der EU an Gesetzen, mit denen Personendaten leichter ausgeforscht und länger gespeichert werden können. Als Vorbild gelten EU-Innenkommissar Franco Frattini die USA.

Am 9. November wird ein Anti-Terror-Plan vorgelegt, der auch den allgemeinen Datenschutz berühren wird; am 13. November kommt der Vorschlag für eine Agentur, die unter anderem die Netzwerke in der EU gegen Cyber-Attacken schützen soll.

Die Internet-Nutzung durch den EU-Bürger könnte künftig stärker überwacht werden. Zwar sollen keine Internet-Recherchen unter Strafe gestellt werden, die in Suchmaschinen nach Wörtern wie „Terrorismus“ oder „Bombe“ suchen. Webseiten, die Anleitungen für den Bau von Bomben enthalten, sollen aber gesperrt werden.

Die Daten von Passagieren auf Flügen von EU-Staaten in die USA werden seit 9/11 bereits streng behandelt. US-Terrorfahnder dürfen die Daten europäischer Fluggäste 15 Jahre lang speichern. Übermittelt werden maximal 19 Daten der Passagiere. Künftig sollen aber auch in der Union die Daten aller Nicht-EU–Passagiere erfasst werden. Ein ähnliches System steht für Flüge innerhalb der EU im Raum. Regina Pöll, Brüssel

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

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