Serbischer Volkszorn kocht über

(c) EPA (Srdjan Ilic)
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Tausend Militante brannten Grenzposten nieder, Angst vor Abspaltung im Nordwesten wächst. Zentrum ist die geteilte Stadt Kosovka Mitrovica. Die Nato-Truppe Kfor hat ihre Präsenz in dem Gebiet schon vor der Unabhängigkeits-Erklärung verstärkt.

Belgrad/Kosovska Mitrovica. Die Wut der Kosovo-Serben über die Unabhängigkeitserklärung Pristinas schlug am Dienstag in offene Gewalt um: Ziel der schwersten Ausschreitungen seit dem Unabhängigkeitstag am Sonntag waren die serbisch-kosovarischen Grenzposten Jarinje und Brnjak. Alleine in Jarinje sollen sich tausend Serben am Sturm auf den Grenzposten der Kosovo-Polizei beteiligt haben. Laut lokalen Radioberichten wurden die Gebäude in einer gut organisierten Aktion gesprengt und mehrere Fahrzeuge in Brand gesetzt. Verletzt wurde dabei offenbar niemand.

Französische Soldaten der multinationalen Schutztruppe Kfor fuhren Panzer auf, bezogen zwei Kilometer von der Grenze entfernt Posten und errichteten neue Kontrollpunkte. Angeblich sind Schlägertrupps aus Serbien zur „Verstärkung“ im Norden des Kosovo eingetroffen.

Westlichen Vertretern zufolge treibt die Gewalt die serbischen Siedlungsgebiete im Nordwesten des Kosovo an den Rand einer Abtrennung. „Wir sind nur noch Zentimeter von einer Teilung entfernt“, warnte ein Diplomat. Ein UN-Vertreter meinte hingegen: „Die Unabhängigkeitserklärung war ein Erdstoß. Das hier sind nur die Nachbeben.“

Bereits in der Nacht hatte es im serbisch dominierten Teil des Kosovo drei Explosionen gegeben: Eine vor dem OSZE-Büro in der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica, eine zweite im „bosnischen Viertel“ der Stadt, wo neben Serben auch Bosnier und Albaner leben. Die dritte Explosion setzte zwei UN-Fahrzeuge in der Nachbargemeinde Zvecan in Brand. Verletzt wurde auch dabei niemand.

„Junges Bosnien“ droht

Eine Organisation namens „Junges Bosnien“ übernahm indes die Verantwortung für Bombendrohungen vor einem slowenischen Einkaufszentrum in Belgrad und vor dem Sitz der EU-Mission „Eulex“ in Mitrovica. Die Vereinigung droht mit Anschlägen, sollte der Nordkosovo nicht abgespalten und an Serbien angeschlossen werden.

In Belgrad verlief die Nacht auf Dienstag ruhig, nachdem es noch am Nachmittag Ausschreitungen gegeben hatte. Sonntagabend waren bei Krawallen 60 Menschen verletzt worden. Die Demonstranten – großteils Fußball-Hooligans – hatten versucht, den Polizeikordon vor der US-Botschaft zu durchbrechen, was ihnen kurzzeitig auch gelang. Auch die Botschaft des EU-Vorsitzlandes Slowenien war beschädigt worden. Laibach warf den serbischen Behörden vor, die Botschaft nicht ausreichend geschützt zu haben und forderte Entschädigung. Montagnacht hatten sich rund 50 Polizisten in Zweierreihe vor der Botschaft aufgebaut, um einen ähnlichen Zwischenfall zu verhindern.

Unterdessen hat Belgrad auch seinen Botschafter aus Frankreich einberufen, aus Protest gegen die Anerkennung Kosovos durch Paris. Den Botschafter in Washington ereilte schon zuvor der Rückruf. In diplomatischen Kreisen war das temporäre Abziehen der Botschafter als „mindeste Reaktion“ der serbischen Behörden erwartet worden.

Welche weiteren Maßnahmen es geben wird, bleibt Spekulation: „Alles ist möglich, aber ein voller Abbruch der diplomatischen Beziehungen wird es wohl nicht sein“, meinte ein europäischer Diplomat.

„Es wäre gefährlich für Serbien, die Beziehungen mit der EU zu verschlechtern. Das würde unsere Chancen mindern, für unsere Interessen zu kämpfen“, hieß es kürzlich auch aus der größeren Regierungspartei DS, der sowohl Präsident Boris Tadic als auch Außenminister Vuk Jeremic angehören.

Jeremic kam am Dienstag eigens nach Wien, um die OSZE aufzufordern, die „illegale“ Unabhängigkeit für ungültig zu erklären. „Wenn das nicht Unrecht ist, ist nichts Unrecht“, sagte er. Noch gebe es Zeit und Hoffnung, dass „nicht alles außer Kontrolle gerät“. Auf keinen Fall dürfe Kosovo einen Sitz in der OSZE erhalten. Präsident Boris Tadic war indes in der Nacht auf Dienstag dabei gescheitert, den UN-Sicherheitsrat von der serbischen Position zum Kosovo zu überzeugen. Das höchste UN-Gremium kam Belgrads Wunsch nicht nach, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo für null und nichtig zu erklären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2008)

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