Der vergessene Krieg im Kongo

(c) Alexander Bühler
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An der Grenze zu Ruanda braut sich ein „zweiter afrikanischer Weltkrieg“ zusammen. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, das Chaos wird von Tag zu Tag größer.

GOMA. Die Stimme des 13-Jährigen ist kehlig geworden vom Staub. Claude will nur noch nach Hause. Doch der ehemalige Kindersoldat sitzt in der ostkongolesischen Stadt Goma fest. So wie hunderttausende andere Menschen. Goma quillt über. Es herrscht Bunkerstimmung. Flüchtlinge irren bettelnd umher, auf der Suche nach Essen für ihre Familien. Den ganzen Tag über wandern sie durch die Straßen, in denen sich bei Regen das Wasser in kleinen Seen sammelt und oft tagelang stehen bleibt.

Das Chaos wird von Tag zu Tag größer. Weil die Bauern ihre Felder verlassen müssen, steigen die Nahrungsmittelpreise, teilweise haben sie sich schon verdoppelt. Seit über zehn Jahren toben, meist unbemerkt vom Rest der Welt, Kämpfe im Osten des riesigen zentralafrikanischen Landes. Jetzt sind sie völlig außer Kontrolle geraten. Die Angst vor einem neuen Kongo-Krieg geht um. Den letzten, zwischen 1998 und 2003, nannte man „afrikanischen Weltkrieg“. Mindestens vier Millionen Menschen starben damals; sieben Staaten waren darin verwickelt.


Auch jetzt zieht ein Nachbarland blutige Fäden. Ruanda unterstützt den Tutsi-Rebellengeneral Laurent Nkunda, Stellung um Stellung haben seine Truppen in den vergangenen Wochen eingenommen. Die kongolesische Armee löst sich auf, plündert. Und die 6000 Soldaten der UN-Blauhelmtruppe Monuc, die in der Krisenprovinz Nord-Kivu ihren Dienst versehen, sind überfordert.


Fast im Stundentakt donnern Flugzeuge über Goma hinweg. Immer mehr Soldaten werden von der Regierungsarmee und der UN-Blauhelmtruppe eingeflogen. Sie versuchen, die Stadt zu einer Festung auszubauen. Denn Nkundas Truppen stehen nur wenige Kilometer vor den Toren Gomas. Immer wieder kochen Gerüchte hoch, dass der Rebellengeneral die Stadt einnehmen wird – heute, morgen, spätestens übermorgen. Wird es Erschießungen geben?

In schwarzen Löchern


Rings um Goma lagern hunderttausende Flüchtlinge. Wer es ins Lager schafft, hat wenigstens ein winziges Dach über dem Kopf, das ihm jetzt, in der Regenzeit, Schutz gewährt. Die anderen, Hunderttausende, verschwinden irgendwo in Nord-Kivu in „schwarzen Löchern“: in Gegenden, die so umkämpft sind, dass die Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter abgezogen haben.

Der 13-jährige Claude wurde vor zwei Jahren als Kindersoldat versklavt. Und zwar von jener Hutu-Miliz, die 1994 nach dem Völkermord in Ruanda in den Kongo geflüchtet war. Zuerst schleppte Claude nur ihre Munitionskisten, dann brachten sie ihm bei, mit Gewehren und Granatwerfern umzugehen, und anschließend musste er selbst andere Kinder erschießen, die nicht so geschickt mit Waffen umgehen konnten. Nach einem Jahr gelang ihm die Flucht in ein Übergangsheim der Caritas, hier sollte er wieder auf die Rückkehr ins zivile Leben vorbereitet werden.


Doch das Heim wurde geschlossen, als neue Kämpfe aufflammten. Claude musste nach Goma. Eigentlich wartet er nur auf ein Abgangszeugnis, das ihm bescheinigt, dass er kein Soldat der Hutu-Miliz mehr ist. Das muss er den Truppen des Tutsi-Generals Nkunda vorlegen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie ihn für einen Spion halten und erschießen.

Ein paar Meter weiter sitzt Godelire Nyiranuvayo auf dem harten Boden aus Vulkangestein. Die 48-Jährige hat einen dicken, kratzigen Wollpulli an, das einzige Kleidungsstück, das sie bei der Flucht retten konnte. Sie war Bäuerin im Dorf Rugari – bis sie eines Nachts Schüsse hörte und ein brennendes Auto sah, das die Soldaten Nkundas in Brand gesetzt hatten.

Schnell weckte Nyiranuvayo ihre Kinder und ihren Mann und floh. Ihre erste Anlaufstelle war das Lager Kibumba – ein Jahr verbrachte sie dort, zusammen mit zehntausenden anderen Flüchtlingen. Doch dann kam der Krieg auch dorthin – und Nyiranuvayo musste weiterfliehen, nach Goma.

UNO stockt Blauhelmtruppe auf


Auf die Verhandlungen zwischen Nkunda, Kongos Regierung und dem von der UNO gesandten Vermittler Olasegun Obasanjo, dem ehemaligen nigerianischen Präsidenten, setzen die Menschen im Ostkongo keine Hoffnung. Denn sie wissen genau, dass der Machthunger Nkundas zu groß ist, als dass er jetzt noch aufgehalten werden könnte. Kaum jemand hat ihm etwas entgegenzusetzen.

Der UN-Sicherheitsrat stimmte Donnerstag zu, die Kongo-Truppe von 17.000 auf 20.000 Mann zu erhöhen. Wird sie das Blutbad stoppen? Der Traum des Exkindersoldaten Claude wird sich noch lange nicht erfüllen. Er will als Lehrer arbeiten. In einem friedlichen Kongo.

Demokratische Republik Kongo

Fläche 2,34 Mio. km²
Einwohner 62,6 Mio.
BIP/Kopf 111 Euro
Durchschnittslohn 75 Euro
Währung Kongol. Francs (1 Euro = 740 CDF)
Religion 70% Christen, 10% Muslime
Lebenserwartung Frauen: 48 Jahre, Männer 45 Jahre
Alphabetisierung 67%

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