EU-Krisengipfel: In 100 Tagen eine neue Welt

Sarkozy
Sarkozy(c) EPA (CHRISTOPHE KARABA)
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Bei ihrem Treffen in Brüssel schworen sich die EU-Länder auf eine Linie gegen die Finanzkrise ein: Mehr Kontrolle über alle Institute in allen Staaten soll Abhilfe schaffen. Die internationalen Partner zögern noch.

BRÜSSEL. Die EU will die Finanzwelt retten. Und das am besten innerhalb von 100 Tagen, so wünscht es sich der französische EU-Vorsitz. Schon beim „Weltfinanzgipfel“, dem G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer am 15.November in Washington, möchte die EU den internationalen Partnern den Weg weisen. Der Feinschliff soll dann bis zu einem zweiten Weltfinanzgipfel Ende Frühjahr 2009 erfolgen – nach rund 100 Tagen also. Und zwar unter dem Motto: Mehr Transparenz, mehr Kontrolle und eine bessere internationale Zusammenarbeit. Auf diese Linie einigten sich am Freitag die Staats- und Regierungschefs aller 27 EU-Länder bei einem Sondergipfel zur Finanzkrise in Brüssel.

Als oberster Retter in der Not hatte sich der amtierende EU-Chef, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, präsentiert. Seinen EU-Partnern legte er fünf Leitlinien auf den Tisch (siehe Grafik), die diese doch bitte absegnen mögen. Nur dann werde die EU in den USA „mit einer Stimme“ sprechen und die Vorreiterrolle im Kampf gegen die Krise übernehmen können. Immerhin gilt es dort, mit Mächten wie den USA, aber auch China, Indien oder Brasilien einen Weg aus der Krise zu finden. Von den EU-Ländern werden in Washington Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien teilnehmen, die Union wird durch den Ratspräsidenten und den Chef der Europäischen Zentralbank vertreten sein. Auch das mächtige Spanien, die Niederlande und der nächste EU-Vorsitz Tschechien sowie Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker sollen mitreisen dürfen.

Richtungswechsel

Mehr Kontrolle über die Märkte war den EU-Staaten lange zuwider, die Union steht traditionell für freien Kapitalfluss. Am Freitag sagten die EU-Regierungen dann aber doch entschieden Ja zu einem Richtungswechsel. Es brauche „mehr Transparenz für die Finanzmärkte“, erklärte die mächtige deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die damit doch noch eine Linie mit Frankreich fand. Davor hatte sich Sarkozy von seiner Idee einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ mit regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs aller 15 Euro-Länder verabschiedet – zumindest offiziell. „Unnötig“, hatten viele EU-Staaten geurteilt. Denn mit der Eurogruppe der 15 Euro-Finanzminister sei man bereits gut aufgestellt.

So war der Weg zu den fünf Leitlinien geebnet, welche die Prinzipien für eine neue internationale „Finanzmarktarchitektur“ enthalten. „Das ist das Wichtigste“, erklärte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Entscheidend wäre nicht nur eine Reform der internationalen Finanzmärkte, die eine bessere Überwachung und Regulierung sowie gemeinsame Regeln bringt. Ausschlaggebend wäre auch, welche Institution federführend für das neue System verantwortlich ist. Geht es nach den Staats- und Regierungschefs der EU, dann soll der IWF mit seinen 185 Mitgliedern aus aller Welt für diese Aufgabe reformiert werden. Am Ende könnte aus einem so aufgewerteten IWF überhaupt eine neue Weltfinanzorganisation werden, in der zum Beispiel Länder wie die Golfstaaten oder andere Schwellen- und Entwicklungsländer neu „gewichtet“ werden. So interpretierte Gusenbauer die fünf Leitlinien,auf die sich die EU-Länder einigten.So sollen diese Leitlinien umgesetzt werden:
Grenzüberschreitende Kooperation:
Aufsichts- und Regulierungsbehörden sollen international zusammenarbeiten, vor allem grenzüberschreitend tätige Firmen sollen stärker kontrolliert werden.
Frühwarnsystem: Um Risken frühzeitig zu erkennen, soll es ein Frühwarnsystem geben.
Keine Schlupflöcher mehr: Künftig müssen alle Finanzinstitute, alle Märkte und alle Länder reguliert und beaufsichtigt werden. Es soll keine Ausnahmen wie etwa für Hedgefonds mehr geben.
Kontrolle für die Kontrollore: Rating-Agenturen, welche die Kreditwürdigkeit von Firmen öffentlich machen, müssen sich registrieren. Für ihr Management soll es eigene Vorschriften geben.
Einheitliche Standards: Die Standards für Bilanzen und die Aufsicht über Institute sollen harmonisiert werden, damit faire Bedingungen herrschen.
Risiko senken: Das Risiko im Wertpapierhandel soll sinken, zum Beispiel indem Kreditgeber einen Teil der angebotenen Wertpapiere selbst behalten müssen.Wer übermütig handeln will, soll aufgrund von Verhaltenskodizes keine Chance mehr dazu haben.
Internationale Überwachung:
Allgemein sollen „Ungleichgewichte“ zwischen den Staaten, etwa mit Schwellen- und Entwicklungsländern, die andere oder keine Regeln anwenden, ausgeglichen werden.

USA legen sich quer

Die 27 EU-Staaten waren sich am Ende einig, auch wenn sie frühere, noch ehrgeizigere Pläne für die Finanzmärkte fallen ließen. Den USA gehen aber offenbar selbst die neuen Vorhaben zu weit: Sie signalisierten, die EU solle sich keine große Hoffnung machen, ihre Ziele im Kreis der G-20 durchzusetzen. Sarkozy setzt dennoch auf die „eine Stimme“ Europas.

(c) Die Presse / LB

Die Hoffnung ruht auch auf dem nächsten US-Präsidenten Barack Obama, der sein Amt am 20.Jänner aufnehmen wird. Darum der Wunsch der EU nach einem neuerlichen G-20-Gipfel im Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2008)

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