Der gemütliche Überwachungsstaat

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Datenspeicherung. Die Regierung rudert zurück: Die EU-Richtlinie zur Speicherung von Handy- und Internetdaten soll nur bei Delikten mit hoher Strafandrohung zur Anwendung kommen.

Wien. Wer hat wann mit wem telefoniert? Und an wen wurden E-Mails versandt? All diese Informationen werden künftig im Rahmen der sogenannten Vorratsdatenspeicherung archiviert. Eine EU-Richtlinie verpflichtet Österreich dazu. Doch nun ist endgültig klar, dass der heimische Gesetzesentwurf – er war nach seiner Präsentation im Frühjahr scharf kritisiert worden – nicht in der ursprünglich geplanten Form kommt.

Das neue Gesetz des fachlich zuständigen Verkehrsministeriums soll zwar erst Ende des Jahres fertig sein: Nach den der „Presse“ vorliegenden Informationen gilt es aber als fix, dass die Herausgabe der Daten strenger gehandhabt wird als zunächst geplant: Nur wenn die Daten zur Aufklärung von mit mehr als drei Jahren Haft bedrohten Delikten nötig sind, können sie vom Gericht angefordert werden. Möglicherweise wird dies sogar noch auf eine Strafdrohung von zehn Jahren hinaufgesetzt.

Zum Vergleich: Im Entwurf war noch von mehr als einem Jahr die Rede – dadurch wären sogar schwere Verstöße gegen das Fischereigesetz oder Bigamie in die Bestimmung hineingefallen. Die neue Fassung käme aber wohl dem Wunsch der EU-Richtlinie näher: Denn sie sieht nur vor, dass die Vorratsdaten bei „schweren Straftaten“ erfasst werden müssen.

Im Gegenzug dürfte der Zeitraum, in dem man die Daten archivieren muss, steigen. Im ursprünglichen Entwurf waren sechs Monate als Speicherfrist vorgesehen. Laut Insidern wird diese Frist vermutlich auf ein Jahr angehoben (die EU verlangt die Speicherung zwischen sechs Monaten und zwei Jahren).

„Prämie“ pro abgefragter Person

Auch ein Entgegenkommen gegenüber den Telekommunikationsunternehmen ist in Planung: Die Betreiber hatten moniert, dass sie für den Staat Daten speichern müssen – die Kosten dafür aber selbst tragen sollen. Nun ist eine „Prämie“ für jede vom Gericht abgefragte Person im Gespräch: Sie soll um die 500 Euro betragen. Bisher speicherten Handy-Betreiber die Verbindungsdaten nur für kurze Zeit als Nachweis für die Rechnung. Auf diese Daten konnte die Justiz aber bereits jetzt unter bestimmten Voraussetzungen zugreifen. Internet-Provider hingegen durften bisher die Daten gar nicht aufzeichnen.

Nichts ändern wird sich gegenüber dem ersten Entwurf freilich an den Grundregeln der Vorratsdatenspeicherung: So dürfen die Daten nur nach vorheriger richterlicher Genehmigung herausgegeben werden. Und Inhaltsdaten (also das Telefonat selbst oder der Inhalt einer E-Mail) bleiben ohnedies tabu.

Allerdings wandern bei der Vorratsdatenspeicherung wesentlich mehr Informationen in die Datenbank als nur Telefonnummern und IP-Adressen. Bei Festnetz-Telefonaten müssen Name und Anschrift beider Teilnehmer, die Länge des Gesprächs und der Ort, von dem aus telefoniert wird, erfasst werden. Bei Mobiltelefonen müssen außerdem die Seriennummern des Geräts und der SIM-Karte ausgelesen werden – und dazu die „Cell-ID“ der Funkzelle. Sie erlaubt es, Bewegungsprofile während des Telefonats zu erstellen.

Bei Internetverbindungen unterliegen IP-Adressen, die zugewiesene Benutzerkennung sowie Name und Anschrift des Benutzers der Speicherpflicht. Wie es bei Internetkommunikationsdiensten wie Skype (Internet-Telefonie) aussieht, ist unklar. Momentan gibt es weder rechtliche noch technische Möglichkeiten, Skype-Anrufe zu verfolgen – denn der Server steht in den USA.

Die Vorratsdatenspeicherung dürfte jedenfalls in der Praxis effizienter sein als die momentan heiß diskutierten Polizei-Trojaner (diese werden auf die Festplatte eines Verdächtigen eingeschleust und sollen ihn ausspionieren). Denn der Polizei-Trojaner wird nach Ansicht von Experten auf massive technische Probleme stoßen. Durch die Vielzahl an Betriebs- und Sicherheitssystemen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass standardisierte Software ausreicht, um Zugriff auf jeden beliebigen Computer zu erlangen. Viel wahrscheinlicher ist, dass jeder Einsatz des Trojaners ein maßgeschneidertes und sehr zeitaufwendiges Vorgehen erfordert.

Polizei-Infos vom Schwarzmarkt?

Kritik im Zusammenhang mit den Polizei-Trojanern kam am Freitag auch vom grünen Sicherheitssprecher Peter Pilz: Beamte würden bei der geplanten Online-Fahndung zahlreiche strafrechtliche Verstöße begehen. Um an aktuelle Sicherheitslücken zu gelangen, durch die der Trojaner in den Rechner eindringen kann, müsste Österreich am Schwarzmarkt aktiv werden, wo derartige Produkte versteigert werden. Bevor man diesen technischen und rechtlichen Graubereich betrete, müsse man sich die Frage stellen, ob die Polizei kriminell werden soll, so Pilz.

Bei der Vorratsdatenspeicherung könnte es technisch etwas einfacher abgehen: So ist denkbar, dass man sich bei der österreichischen Umsetzung der EU-Richtlinie um ein einheitliches System bemühen wird. „Terabyte-große, unstrukturierte Datenberge wären einfach nicht verwertbar“, beschreibt ein mit dem Thema vertrauter Datenbank-Experte das Problem. Am effizientesten – und für die Provider am billigsten – wäre es, wenn der Staat genau vorgibt, wie die Daten zu speichern sind.

Dies würde die Analyse der gesammelten Daten erleichtern und beschleunigen. So könnte etwa via Social-Networking-Analysis problemlos das Kommunikationsverhalten größerer Gruppen untersucht werden. Wie groß die Datenmenge ist, auf die zugegriffen werden darf, wird aber vom richterlichen Beschluss abhängen. Dass in Ausnahmefällen die Aufzeichnungen von mehreren tausend Personen ausgehoben werden könnten, sei aber nicht völlig unrealistisch, erklärte IT-Rechtsexperte Rainer Knyrim im Gespräch mit der „Presse“.

Er ortet einen juristischen Paradigmenwechsel durch die Vorratsdatenspeicherung. „Hat man früher erst bei begründetem Verdacht ermittelt, so will man nun das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung flächendeckend auf Vorrat erfassen.“

SPEICHERN VON VORRATSDATEN. Die Fakten

Österreich hat sich zur Umsetzung einer im Zuge der Terrorismus-Bekämpfung beschlossenen EU-Richtlinie verpflichtet. Demnach müssen Telefon- und Internetdaten aller Bürger unabhängig von Verdachtsmomenten (also „auf Vorrat“) archiviert werden. Gespeichert werden nur die Verbindungsdaten (wer telefonierte mit wem), aber nicht der konkrete Inhalt von Gesprächen und E-Mails. Auf richterlichen Beschluss haben die Telefonie- und Internetanbieter die Daten einer verdächtigen Person der Justiz zu übermitteln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

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