Frauen sollen länger arbeiten

Die Presse (Fabry)
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ÖVP-Klubobmann Schüssel will Frauen über 60 die Weiterarbeit ermöglichen, Sozialexperte Marin sieht keinen vernünftigen Grund für frühere Pension.

Wien. „Ich habe noch kein einziges vernünftiges Argument gegen eine Anhebung des Frauen-Pensionsalters gehört.“ So begründet Sozialexperte Bernd Marin seinen Vorstoß für eine Angleichung des Pensionsantrittsalters von Männern und Frauen. Dies solle so bald wie möglich erfolgen. Vor allem der Kampf gegen Frauen- und Altersdiskriminierung sowie die höhere Lebenserwartung der Frauen, die automatisch Pensionen von den kurzlebigeren Männern zu den Frauen hin umverteilt („und das ist gut so“) spricht laut Marin dafür, das Pensionsalter anzupassen.

Der Sozialexperte reagiert damit auf einen Vorstoß von ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel. Dieser hatte in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ einen Vorstoß zumindest für mehr Flexibilität gemacht. Das frühere Pensionsantrittsalter sei „leider verfassungsrechtlich geregelt“, so Schüssel. Doch das, was Anfang der 90er-Jahre als Schutz für Frauen galt, sei heute nur noch bedingt so zu sehen. Frauen, die länger arbeiten wollen, würden mit 60 mit dem Argument „gesetzliches Pensionsalter“ frühzeitig verabschiedet. Schüssel wünscht sich mehr Flexibilität. Frauen sollten die Möglichkeit haben, weiter zu arbeiten.

Laut Marin ist dies derzeit schon möglich – und zwar dann, wenn Frauen den beschwerlichen Weg über das Gericht wählen. Ein Einspruch gegen eine Kündigung sei erfolgversprechend, es habe da bereits Fälle gegeben. Der Oberste Gerichtshof hat in einem Fall entschieden, dass eine Kündigung unzulässig war, weil die betroffene Frau dadurch keine Möglichkeit hatte, die notwendigen Beitragsjahre für die Höchstpension zu sammeln.

Marin empfiehlt betroffenen Frauen den Gang vor den Europäischen Gerichtshof: Dieser könne auch die österreichische Verfassungsbestimmung aushebeln, nach der die Angleichung des Pensionsalters erst nach einer langen Übergangsfrist schrittweise in den Jahren 2024 bis 2033 erfolgen wird.

Europarechtsexperte Peter Hilpold von der Universität Innsbruck ist da skeptischer. Für das Sozialversicherungsrecht gibt es auf Europaebene eine eigene Anti-Diskriminierung-Richtlinie. Diese verlangt zwar eine einheitliche Behandlung von Männern und Frauen im Sozialrecht, doch hat Österreich eine Ausnahmeregelung hineinreklamiert: Die Richtlinie gilt nicht für unser unterschiedliches Pensionsantrittsalter.

Österreich ist übrigens eines von wenigen Ländern in der EU, in dem Frauen schon mit 60 in Pension gehen (siehe Grafik). Und außer Polen gibt es kein anderes Land, in dem einerseits so eine lange Übergangsfrist und andererseits eine so große Kluft zwischen dem männlichen und dem weiblichen Antrittsalter besteht.

„Unerhörter Angriff auf Frauen“

Die Politik reagierte am Mittwoch eindeutig ablehnend auf den Vorstoß Schüssels. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina meinte, der „heimliche ÖVP-Obmann Schüssel“ habe die Frauen offenbar als neues Ziel für seine Attacken auserkoren. Für die SPÖ komme ein Rütteln an den derzeitigen Bestimmungen mit Sicherheit nicht in Frage. Frauen seien im Erwerbsleben immer noch in Hinblick auf Berufschancen, Einkommens- und Pensionshöhen benachteiligt. Frauenministerin Doris Bures (SPÖ) sprach von einem „unerhörten Angriff auf die Frauen.

Auch die ÖVP-Regierungsmitglieder erteilten den Vorschlägen Schüssels eine klare Absage. Vizekanzler und Parteiobmann Wilhelm Molterer meinte nach dem Ministerrat, eine Anhebung des Pensionsantrittsalters sei „kein Thema“. Vielmehr müsse ein Anreizsystem geschaffen werden, um das reale Pensionsalter an das gesetzliche anzupassen.

Zur Verteidigung Schüssels rückte die frühere Gesundheitsministerin und Frauensprecherin Maria Rauch-Kallat aus: Die SPÖ würde die Aussagen Schüssels bewusst falsch interpretieren und daraus eine „Lügenpropaganda“ entwickeln. Schüssel sei es nie darum gegangen, das Antrittsalter ändern zu wollen.

Leitartikel Seite 39

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2007)

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