„Alle an Korruption gewöhnt“

Die Presse (Fabry)
  • Drucken

Experten üben scharfe Kritik an den Zuständen im Gesundheitssystem. Sie orten grobe Transparenzmängel.

Wien (aich). Trotz des Nikolaustages hatten die Vertreter von „Transparency International“ (TI) nicht gerade Lob mitgebracht – stattdessen stellten sie dem österreichischen Gesundheitssystem die Rute ins Fenster. Die Experten orteten in einer Pressekonferenz grobe Transparenzmängel in der heimischen medizinischen Versorgung. „Wir wollen ein Problembewusstsein schaffen“, betonte Andrea Fried, Leiterin der Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von TI Österreich. Dieses Bewusstsein fehle nämlich, konstatierte Werner Vogt, langjähriger Pflegeombudsmann. „Alle haben sich an Korruption gewöhnt.“

Es werde als üblich hingenommen, dass man etwa die Wartezeit für ein neues Hüftgelenk verkürzen kann, indem man einfach die Privatordination eines Spitalsarzts aufsucht. Das sei aber „ein klarer Fall von Korruption“, so Vogt. Er plädierte dafür, dass sich Mediziner künftig entscheiden müssen, ob sie für private Einrichtungen oder in einem öffentlichen Spital arbeiten.

Dass sich die Österreicher an der Praxis im Gesundheitswesen gar nicht stoßen, zeigt auch die aktuelle TI-Statistik: Für diese wurde die Bevölkerung gefragt, in welchen Lebensbereichen sie Korruption orten. Der Bereich medizinische und ärztliche Dienste kommt mit der Note 2,5 (5=höchst korrupt, 1=überhaupt nicht korrupt) dabei relativ gut weg. Das schlimmste Schlachtfeld für die Korruption sehen die Österreicher bei den politischen Parteien (3,2). Aber auch das Parlament kommt nicht gut weg (2,9). Allerdings: In den anderen europäischen Staaten erhielt die Politik noch schlechtere Noten von der Bevölkerung.

International Musterschüler

Insgesamt wurden für die Studie 63.000 Personen in 60 Ländern interviewt, in Österreich befragte das Gallup-Institut 804 Personen. Auffällig war beim rot-weiß-roten Ergebnis, dass das Militär in Österreich für vergleichsweise korrupt gehalten wird (Note 2,9, europaweit liegt der Schnitt bei 2,4). Der Wert für das Bundesheer sei gegenüber den letzten Jahren schlechter geworden, erläuterte TI-Vorsitzende Eva Geiblinger. Hintergrund könnten die Ereignissen der letzten Zeit sein (Stichwort: Eurofighter-Kauf).

Summa summarum ist Österreich im internationalen Vergleich freilich ein Musterschüler. Nur ein Prozent der Befragten gab an, schon einmal jemanden bestochen zu haben, um eine bestimmte Leistung zu erhalten. Im Europa-Schnitt hat immerhin schon jeder Zwanzigste einmal seine Geldbörse geöffnet, um dem Glück ein bisschen nachzuhelfen (weltweit 13 Prozent). Auf der Tagesordnung steht das Schmieren in Kamerun: Fast vier Fünftel der dortigen Bevölkerung hat schon einmal jemanden bestochen. Europäischer „Spitzenreiter“ in der negativen Statistik ist Albanien (71 Prozent).

Forderungskatalog der Experten

Trotz der für Österreich positiven Studie warnte auch TI-Chefin Geiblinger explizit vor Machenschaften in der Gesundheitsbranche: Dieser Bereich sei „für Schmiergeld besonders anfällig“. Pharmakonzerne würden bei der Einführung von Produkten teils mit problematischen Mitteln arbeiten. Damit die Situation besser wird, entwarf TI einen Forderungskatalog. Die wichtigsten Punkte:
•Eine unabhängige Antikorruptionsstelle soll eingerichtet werden, die stetig das Gesundheitswesen kontrolliert.
•Daneben fordert TI den Aufbau eines anonymen Meldesystems für Korruptionsfälle im Gesundheitswesen. Die Anonymität ist vor allem deswegen wichtig, weil Patienten sonst negative Auswirkungen bei ihrer konkreten Heilbehandlung fürchten müssen.
•Wichtig sind auch strenge Regelungen und konsequente Kontrolle bei Nebenbeschäftigungen von Ärzten.
•Überdies sind transparente Wartelisten für Operationen und konservative Therapien ein absolutes Muss.

WELTWEITE WÄCHTER.

Transparency International (TI) versteht sich laut Eigendefinition als „gemeinnützige, parteipolitisch unabhängige Bewegung von gleichgesinnten Menschen aus aller Welt, die sich dem globalen Kampf gegen die Korruption verschrieben haben“.

Die Organisation wurde im Jahr 1993 in Berlin vom ehemaligen Weltbankdirektor Peter Eigen gegründet. In mehreren Ländern gibt es Sektionen, darunter auch in Österreich. Transparency International kämpft vor allem gegen Korruption in den Bereichen Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Gesundheitswesen und Entwicklungshilfe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.