Gewalt: Lehrer-Mobbing im Internet

Moderne Medien als Plattform für derbe Scherze, Drohungen, Diffamierungen.

Der Schüler flitzt auf den Lehrer an der Tafel zu, zieht ihm die Hose herunter und läuft weg. Ein „normaler“, etwas derber „Schüler-Scherz“?

Als solcher wäre diese Szene aus einer schottischen Schule wohl durchgegangen – hätte nicht ein Mitschüler den Vorfall mit seiner Handy-Kamera mitgeschnitten, auf die Videoplattform „youtube.com“ gestellt und so einem (potenziellen) Millionen-Publikum zugänglich gemacht. „Cyber-Bullying“ oder „Cyber-Mobbing“ heißt dieses Phänomen. Peinliche Videos ins Internet zu stellen ist nur eine Spielart davon. Auch obszöne Bildmontagen, Bloßstellungen oder Rufschädigung in Foren oder Blogs und Drohungen per Mail oder SMS zählen dazu.

Vor zwei Jahren wurden die ersten Fälle aus Großbritannien bekannt, mittlerweile sind auch österreichische Lehrer von „Cyber-Mobbing“ betroffen.

Nicht nur Schüler als Täter

Die britische Lehrervereinigung ATL beklagt, dass diese Art von Belästigung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen habe, einer Umfrage zufolge seien 17 Prozent der Lehrer bereits per Handy oder Mail belästigt worden. Interessantes Detail: Nur ein Drittel der Taten werden Schülern angelastet. Auch Kollegen, Vorgesetzte und sogar Eltern von Schülern sollen sich darin üben. Christine Gubitzer, Mobbing-Beraterin bei der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Ich kenne Fälle, in denen Lehrer ihre Schüler dazu gebracht haben, andere Kollegen für sie auszuspionieren.“

Lehrer sind generell besonders oft mit Mobbing konfrontiert, achtzig Prozent von Gubitzers jährlich 200 Klienten kommen aus dem Schulbereich. Drei bis fünf Prozent der Fälle beträfen bereits ,Cyber-Mobbing‘, dazu komme noch die Dunkelziffer. „Bei uns ist das Problem noch nicht so akut wie in England, aber diese Schikane kommt auch bei uns vor. Diese Art von Rufschädigung ist eine besondere Grausamkeit.“

Die kann auch weitreichende Folgen haben. Eine britische Lehrerin musste monatelang psychologisch betreut werden, nachdem Schüler ihr Gesicht in ein pornografisches Foto hineinmontiert und ins Internet gestellt hatten. In der deutschen Zeitschrift „Telepolis“ wird ein Fall geschildert, bei dem im Internet die Adresse einer Lehrerin angegeben und zu deren Massenvergewaltigung aufgerufen wurde.

Spaß oder Gewalt?

Dass auch für die Täter virtuelle Attacken nicht ohne Folge bleiben, haben jüngst Schüler der Handelsschule in Reutte erfahren. Laut „tirol.com“ wurden 20 der Jugendlichen mit dem Schulausschluss gedroht, nachdem sie im Forum einer (stark genutzten) Tiroler Party-Seite über ihre Lehrer hergezogen waren. Unrühmlicher Höhepunkt: die Überlegung, einen bestimmten Lehrer mit dem Auto anzufahren.

Müssen sich Lehrer vor ihren Schülern fürchten? „Derzeit spielt sich das Ganze genau an der Grenze zwischen Spaß und Gewalt ab“, sagt Walter Riegler, Vorsitzender der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft. „Aber wenn solche Dinge kommentarlos hingenommen werden, könnte Gewalt folgen. Das Potenzial ist da“, warnt er. Schon heute ließen Schüler oder deren Eltern manchmal die Fäuste sprechen.

Dass heutzutage das Internet zum Schauplatz solcher Machtkämpfe werde (Gubitzer: „Bei Mobbing geht es immer um Macht“), findet Riegler nur logisch: „Wegen der grundsätzlichen Anonymität. Und je öfter man von solchen Methoden hört oder liest, umso mehr steigt die Bereitschaft, so etwas selbst zu inszenieren.“

„Kein Raum für Beziehungen“

Und diese Bereitschaft wird noch weiter zunehmen, sagt Gewaltberater und Sozialpädagoge Alexander Unterberger. „Gefühle sind heutzutage kein Thema. Weder in der Schule, noch generell in der Gesellschaft.“ Wenn jemand über Internet oder SMS verhöhnt oder gequält werde, vergrößere der Täter den Abstand zwischen seiner Tat und den Gefühlen, die sie beim Opfer auslösen, noch weiter. „Labor-Gefühl“, nennt das Unterberger.

Die Täter kommen übrigens aus allen Schichten der Gesellschaft. Auffällig: Menschen, die Erfahrungen mit echter Gewalt haben, üben tendenziell keine Gewalt im Cyberspace aus.

Inline Flex[Faktbox] SCHULE UND MOBBING("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2007)


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