Küchen: Die Inseln der Sehnsucht

Die Küche ist mehr Ort als Raum. Dort konzentrieren sich Leben und elementare Bedürfnisse. Auch jenes nach dem „Angreifen“.

Räumlich denken heißt bei Designern, die sich um das Zuhause der Menschen zu kümmern, gern auch mal: Wände weglassen. Die Küche, wenn sie überhaupt noch ein „Raum“ wäre, hat sich längst vom Funktions- zum Sozialraum gewandelt. Vielmehr ist sie ohnehin ein Ort, an dem Menschen nicht nur Lebensmitteln ihre Wertschätzung zeigen, sondern auch den Menschen, mit denen sie zusammenwohnen. Oder die sie gerade zum Essen eingeladen haben. So offen wie die Vorstellung von der perfekten Küche sind auch die Konzepte, wie die Genuss- und Kommunikationszentralen der menschlichen Behausungen ausgestaltet sein sollten. Doch einen Konsens bemühen die meisten Hersteller: Die Küche ist die ungezwungene Alternative zu den starren Ritualen der Tischkultur. Hier gibt es zwar ein paar physikalische Regeln, die gelten sollten, damit das Essen gelingt. Und ein paar Erfahrungswerte, denen man folgen könnte, damit es auch schmeckt. Ansonsten haben hier Herzensköche und Herzensesser gleichermaßen ein Zuhause. Und schlau, wie sie sind, holen die Küchenhersteller alle gleichzeitig ab: mit Modularität, mit Flexibilität und dem Bedürfnis nach „Angreifbarem“.

Flächig. Buntes Glas und Naturholz treffen bei „Linee“ von Team 7 neuerdings aufeinander.
Flächig. Buntes Glas und Naturholz treffen bei „Linee“ von Team 7 neuerdings aufeinander. (c) Beigestellt

Beweglich. Lange sind die Menschen der Nahrung nachgejagt. Dann wurden sie sesshaft. Und jetzt darf endlich die Nahrung den Menschen folgen. Oder auch die Möglichkeit, die Nahrung zuzubereiten: Die „Cookstation“ hat Kühlschrank und Herd – im Kofferformat. FPM, die Fabbrica Pelletterie Milano, beschwört gemeinsam mit Designer Marc Sadler wieder das Nomadentum, die Abenteuerlust. Eine Küche, die wie ein Trolley alle begleiten kann, die gern „Out of the box“ leben. Oder wie man sagt: aus dem Koffer. Das spontane Picknick um Mitternacht, der heiße Tee in der heißen Wüste – die „Cookstation“ macht jede Eskapade mit.

Inselbildung. Bei ­Bulthaup ist „b3“ das ­Toponym in der ­Küchenlandschaft.
Inselbildung. Bei ­Bulthaup ist „b3“ das ­Toponym in der ­Küchenlandschaft. (c) Beigestellt

Ein bisschen Gag-Faktor schwingt bei Entwürfen wie der „Cookstation“ natürlich mit, aber so emotionale Orte, wie es Küchen nun einmal sind, kann man über den Nutzen allein kaum definieren.

Denn für viele bedeutet nach Hause kommen auch so viel wie: in die Küche kommen. Im Zentrum des Wohnlayouts verankert ist sie zu einem Ort der Verheißung geworden: Man riecht, was man noch nicht riechen kann. Meint schon zu schmecken, was da erst vor sich hin brutzelt. Die Küchenarchitektur triggert das Gefühls- und Geschmackskino im Kopf. Und gern formal so, dass sie sich gegenüber dem Formenschatz der zu verarbeitenden Lebensmittel zurückzieht. In den Purismus etwa. Reinheit war halt schon immer ein Anspruch an Küchen. Ein Hersteller wie Siematic hat diesen auch gestalterisch gepflegt, das Weglassen kultiviert.

Mobilgerät. Die ­„Cookstation“ von FPM entwarf Marc Sadler für den Abenteuerkoch.
Mobilgerät. Die ­„Cookstation“ von FPM entwarf Marc Sadler für den Abenteuerkoch. (c) Beigestellt

Das fing schon 1960 mit dem erstmaligen Verzicht auf Griffe an. Auch formal setzt der neue „Pure“-Stil auf reduzierte Geometrien, die am eindrucksvollsten wirken, wenn sie zu geometrischen Körpern werden, zu Inseln, zu Monolithen, um die herum, in fast religiöser Verehrung, die Bewohner tänzeln, wenn sie kochen oder auch bekocht werden.
Früher jagen, heute Rezepte sammeln: Wichtig ist vor allem, dass neueste Technologien auch etwas beitragen dürfen, sei es auch nur in Form von LED-Leuchtmitteln, die die Küche wie die Sonne die Landschaft draußen in immer neue Szenarien und Stimmungen hüllen. Die Insel als Landschaftsform stand auch bei Bulthaup zuletzt auf der Eurocucina, dem Begleitevent des Salone del Mobile, im Fokus. Das Modell „b3“ versucht, die Küchentopografie funktional zu komprimieren. Und dadurch gleichzeitig den kommunikativen Gestus der Küche noch einmal deutlich zu unterstreichen. Denn: Kochen ist kein introvertierter Akt, sondern ein sozialer. Die Designer wollten das nur mal so nebenbei für uns klarstellen.

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