Salone del Mobile: Möbel, die Kreise ziehen

(c) Thomas Pagani
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Alles zuvor war Winter: Der Salone del Mobile 2018 zeigte, welche Möbel bis zum nächsten Frühling wirklich Saison haben.

Der letzte materielle Anker des Digitalen, auch er verflüchtigt sich: der USB-Stick hortete traditionell die Geheimnisse, die darauf warteten, von Designjournalisten hochgeladen zu werden. Damit sie sich übers Netz und ein paar gedruckte Seiten in alle Welt verbreiten. Auf das „Neue“ des Salone del Mobile wartet die Möbelbranche wie andere auf die Erlösung. Doch jetzt sind es hauptsächlich QR-Codes, die die Schatzschränke öffnen. Nur manche Hersteller halten an alten Traditionen fest: Offecct etwa lässt jedes Jahr einen anderen Designer seinen USB-Stick gestalten. Diesmal war es der Schweizer Alfredo Häberli.

Er entwarf den Stick wie den Knauf einer Schublade. Ein Tribut an das urmenschliche Bedürfnis: angreifen wollen. Auf der größten Möbelmesse der Welt streichen die Messebesucher sanft über die Oberflächen, als würden sie gerade die süßesten Hundewelpen tätscheln. Auf einem der Begleitevents in den Messehallen, auf der Eurocucina, der Küchenausstellung, bewegen sich dafür die Schubladen, als hätte man das Prinzip „Auf und zu“ gerade erst erfunden. Für das Angreifbare, dafür stehen die Menschen in Mailand fast eine Woche lang Schlange: von den Fahrscheinautomaten der U-Bahn bis zur roten Kordel am Messestand. Jene rote Linie, die im Messegewurl die very important neugierigen Augen von den nur neugierigen trennt.

Präsenz zeigen. Fast könnte es Möbelhersteller verleiten, aus dem Mainstream auszubrechen und in Guerilla-Marketing-Manier ganz andere Zusammenhänge zu suchen, in denen man samt seiner Markenwerte aufpoppt. Doch wer nicht ist, wo alle sind, wird noch eher übersehen. Die größte Möbelmesse der Welt ist ein Event, das mit riesigen Zentrifugalkräften eine Flut von Veranstaltungen und Ausstellungen rund um sich in die ganze Stadt streut. Es ist teuer, da zu sein, für die Hersteller, für die Designer, für die Besucher. Aber nicht da zu sein kann man sich noch viel weniger leisten. So treffen Händler, Designbeobachter und Journalisten in den Warteschlangen eine stille Übereinkunft: Alles, was zuvor war, war gestalterischer Winter. Jetzt ist der Designfrühling da. Und dann zeigt sich, was wirklich Saison hat.

In diesem Jahr zum Beispiel alles, was man beistellen kann. Also Kleinmöbel, die den größeren Möbeltypologien stilistisch und funktional „beistehen“. Beistelltisch heißt das in einer etwas funktionaleren Bezeichnung. Coffeetable in einer eleganteren. Oder einfach: Alle Formen von Tischen, die zu niedrig und zu klein sind, um da­rauf zu essen oder zu arbeiten. Sie docken bei Sofas von allen Seiten an, sie bilden Agglomerationen auf verschiedenen Niveaus. Sie schwingen sich organisch zu Mikrolandschaften auf und formieren sich streng symmetrisch zu Mikroarchitekturen. Was sich paart und gruppiert, das darf auch stilistisch und auf den ersten Blick erst einmal aufeinanderprallen. Da reiben sich glatte, glänzende Metalle, sehr gern Messing, am stofflich Rauen und hölzern Groben. Die haptischen Kontraste, die „Alles passt, wenn man nur will“-Haltung, ist langsam so weit gediehen, dass sie die Hersteller als Marketing-Instrument ernst nehmen.

Neue Linien. Und wer Brüche mag, vor allem jene mit Gewohnheiten, der wird in diesem Jahr etwas besser bedient als zuvor. Zuletzt wurden ja gern Archive und Schubladen allzu exzessiv geplündert, handwerkliches und gestalterisches Erbe allzu bemüht hochgehalten und hochstilisiert. Nun hören zwar die Jubiläen, Todes- und Geburtstage nicht plötzlich auf, gefeiert zu werden. Doch manchmal geben sie sogar Anlass, auf Erfolgswegen neue Richtungen einzuschlagen. Minotti etwa feiert doppelt: 20 Jahre Kooperation mit Rodolfo Dordoni und 70 Jahre Bestehen überhaupt.

Und plötzlich öffnet sich der italienische Hersteller für ganz neue Einflusssphären. Eine davon bedient etwa der brasilianische Architekt Marcio Kogan. Er breitete auf Minottis Wunsch seine modernistischen, reduziert-grafischen Raster in einer neuen Outdoor-Kollektion aus. Auch das Designstudio Nendo aus Japan darf diesmal seinen minimalistischen Zugang mit gedanklichem Twist auf dem Messestand von Minotti ausleben, vor allem auch in Form von Kreisen. „Ring“ heißt eine Kollektion von Beistelltischen, die zeigen, wie man mit wenig Zeichen viel erzählen kann. Ähnlich wie die japanischen Haiku-Gedichte, die kürzer sind als manche Twitter-Meldung. Manchmal hat man auch formal nicht mehr zu sagen, wenn schon alles auf dem Punkt ist. Doch trotz eines bewusst eingeschränkten Vokabulars haben die japanischen Designer auch ganz generell auf dem Salone del Mobile immer deutlichere Worte mitzureden.

Für Living Divani hat etwa Keiji Takeuchi eine reduzierte Wohnskulptur mit inhärentem Meditationsfaktor abgeliefert: „Clivio“ nennt sich das Daybed, das genauso gut als Bank funktioniert. Für einen allein oder für alle zusammen, ganz wie man will. Auch Ichiro Iwasaki, der in Tokio arbeitet, lässt Sitz- und Möbelkultur aus Japan ein wenig in die europäische Messe und den Weltmarkt hineinwehen. Für Arper vereinfacht er das Sitzen auf archetypisch anmutende geometrische Zusammenhänge: „Kiik“ heißt das System, das auch einer multioptionalen Gesellschaft besser gerecht werden soll. Denn auf den Sitzbausteinen ist nichts vorgesehen, nur alles erlaubt: sitzen, stehen, liegen, reden, lesen, schreiben, essen, warten.

Ebenso setzt der deutsche Hersteller Walter Knoll auf einen japanischen Beitrag: Der Designer Dai Sugasawa hat zuvor schon in Christophe Pillets Studio in Paris gearbeitet. Nun liefert er alleinverantwortlich Entwürfe ab: Wie den „Ishino“-Tisch, der die Intention der natürlichen Anmutung nicht verleugnen kann. Als hätten Wasser und Wind den Stein geschliffen. Da werden wieder so einige Hände eifrig zu streicheln beginnen.

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