Niederlande

Den Haag: Die Ruhe im Bauch der Brücke

Ein ganzer Pier-Komplex: Seebrücke, Riesenrad, Bungeeturm. Im Hintergrund das berühmte Kurhaus.
Ein ganzer Pier-Komplex: Seebrücke, Riesenrad, Bungeeturm. Im Hintergrund das berühmte Kurhaus.(c) imago/Hollandse Hoogte
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Schlafen und chillen, wenn etliche Meter tiefer das Meer rauscht. In der berühmten Seebrücke von Scheveningen, einem Stadtteil von Den Haag, kann man in den Pier Suites übernachten.

"Pier Suites? Nein, kennen wir nicht", sagen die niederländischen Taxifahrer freundlich ratlos. „Ein Hotel soll das sein?“ Sie schütteln die Köpfe: „Sind wir noch nie angefahren.“ Dann also doch die Tram Nr. 9 vom Hauptbahnhof Den Haag zum Stadtteil Scheveningen nehmen. Sechs Kilometer und 15 Minuten Sigthseeing: Sonnenglänzende Backsteinfassaden, hohe Fenster, lackierte Holzrahmen, gestreifte Markisen, die klassizistische Fassade des Museums Mauritshuis, hinter ihr Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“. Ströme von Fahrradfahrern rauschen auf Wegen parallel zum Fluss von Autofahrern. Ein Eindruck, der sich an keiner Sache festmachen lässt und dennoch greifbar ist: Etwas Lockeres, Kosmopolitisches liegt in der Luft. Das kommt von den Menschen.

Im Bauch der Brücke versteckt

Haltestelle Kurhaus, Hochhaustürme, Glasfronten, der berühmte Pier ist nirgends zu sehen, nicht einmal das Meer. „Pier Suites?“, wiederholt ein Passant mit wissendem Lächeln. „Eine Minute die Straße geradeaus, dann links die Treppe runter zum Strand, und Sie sind da.“ Die grauen Hauswände die Stufen hinunter findet man sich abrupt am Strand wieder, aber nicht auf Sand. Auch die Seebrücke über dem Meer liegt außerhalb des Blickfelds. Nur das, was vermutlich ihr Anfang ist – ein mächtiges Gebilde auf Pfeilern: ein rundes Objekt, das an ein gerade gelandetes Raumschiff erinnert.

Der Eingang öffnet sich automatisch in einen hohen, fast leeren Raum. Wo ist die Lobby? Über dem Tresen des Infostands klein das Logo: De Pier Suites Receptie. „Mara“, macht sich die Rezeptionistin bekannt, „ich begleite Sie zu Ihrer Suite.“ In eine Gangway? „Hier beginnt das Unterdeck des Piers“, erklärt sie. Glaswände in V-Form mit Öffnungen zu langen, schmalen Balkonen, auf denen Leute sitzen, plaudern, in Kaffeetassen rühren. Türen zu Suiten sind nirgends auszumachen, dafür Strand ohne Ende. „Wir spazieren fünfundvierzig Meter über dem Meer“, erzählt Mara. Unten zischen Wellen auf den hellen Sand.

Am Pommes-Stand bleibt sie kurz stehen – alles fein designt: ein Tresen mit schwarz-weißen Streifen. Volle Säcke mit ungeschälten Kartoffeln, rot-weiß karierte Stanizel mit Pommes. „Außen knusprig, innen mit Schmelz. Junk-Food gibt's auf der Seebrücke nicht.“

Weiter geht's vorbei an dicken Ledersofas, besetzt mit Leuten, die ihre Snacks verzehren und einander Einkäufe aus den Shops zeigen. Ist das jetzt endlich die Tür zu den Suites!? „Nein, da geht's runter zum Steg, der zum Riesenrad führt“, sagt die Rezeptionistin – und der führt in luftiger Höhe geradewegs zum Panoramarestaurant im Bungeeturm. „Gleich sind wir da.“ Ein Stück die Treppe runter, dann ein hüfthohes Türchen mit verwittertem Schildchen „Durchgang nur für Befugte“, aber es ist nur angelehnt. Noch eine Treppe tiefer. „Wir sind nun unterhalb des Bungeeturms“, sagt Mara. „Hier endet der Pier. Nur die Gäste der Pier Suites finden hierher.“

Das elektronische Schloss piepst, die Tür schwingt auf. Ein kleiner Vorraum mit zwei petrolfarbenen Memphis-Sesseln vor einer Wandtapete mit dem historischen Pier in Schwarz-Weiß. Gegenüber schließlich fünf Türen zu den Suiten. Wie viele Meilen war's bis zum Ziel? „381 Meter“, lacht Mara, „so lang ist die Seebrücke.“

Am Ende wartet das offene Meer. Eine lange Dünung rollt auf den Strand zu, etliche Meter tiefer rauscht es. Terrasse und Suite schwingen sacht. Das macht den Platz weltvergessen, wie auf einem vor Anker liegenden Schiff – inklusive freistehender Badewanne. Was ist hinter der Glastür neben dem Kopfende? Ein Raum mit Waschkonsole und Regenschauerdusche in gedämpftem Licht. Unter bauschenden Vorhängen des Panoramafensters weht die Brise in das helle, hohe Zimmer. Sonne bricht aus den Wolken, bringt am Horizont weiße Segel zum Leuchten. Das Gefühl macht sich breit, allein mit dem Meer und jeder Hektik entkommen zu sein. Auf der Terrasse verfärbt sich der milchig-silbrige Himmel rosa. Weit draußen auf dem Meer liegen Containerschiffe auf Reede, drehen ihren Bug in den wechselnden Wind.

200 Jahre Badekultur

Auf dem Oberdeck der Seebrücke befindet sich das Riesenrad auf Augenhöhe, davor schnurgerade die Seebrücke. Geriffeltes Holz mit weißer Balustrade an den Seiten. Am anderen Ende zeigt sich der Stadtrand Scheveningens im Gegenlicht, vorgelagert der immens breite Strand. Der Reeder Jacobus Pronk hatte vor 200 Jahren, als Scheveningen noch ein Fischerdorf war, ein Holzhäuschen auf den weißen Sand gesetzt und vier Badetonnen mit Meerwasser aufgestellt: Ein Badeort entstand, und im Vorjahr feierte er Jubiläum. Seit Jahren wird Scheveningen überhäuft mit Preisen, der gepflegten Strände und der hohen Qualität der Badegewässer wegen.

Unten auf der Promenade reiht sich Café an Café. Viele nach oben offen und hinter Windschutz aus Glas, dort, wo sie an Strand grenzen. Oder überdacht mit Türen auf der gegenüberliegenden Seite der Promenade. Rechts und links Austern, Kaffee, Croissants auf den Tischen. Am Ende der Treppe befindet sich der Boulevard, eine Fußgängerzone, entworfen vom katalanischen Architekten Manuel de Solà-Morales. Aus der Zeit gefallen wirkt das goldbunte Karussell, wie es sich dreht mit galoppierenden Pferden, während Kinder sich an deren Mähnen festhalten.

Die Bauarbeiten ziehen sich über das Jubiläumsjahr hinaus, niemand stört sich dran. Auch die Geräusche verlieren sich in der Weite, der Brise, im Geplauder der Flanierenden, die die Freitreppe zum Kurhaus hinaufsteigen. Auf der Kuppel weht die niederländische Flagge im auffrischenden Wind über dem dreiflügeligen Bau im Stil italienischer Renaissance. Gekrönte Häupter weilten hier. Churchill, Brahms. Die Rolling Stones lösten Tumult unter den Deckengemälden im Kursaal aus und mussten ihr Konzert abbrechen. Auf der Terrasse dreht man sich noch einmal um. Von hier aus kann man alle 381 Meter vom Pier sehen, wie die farbigen Säulen sie hinaus aufs offene Meer tragen. Die Suites bleiben dem suchenden Blick verborgen, aber der Gast weiß, sie sind da.

OBERWASSER

Pier Suites: Komfortable Suiten,

Jacuzzi mit Meerblick, Espressomaschi- ne, gratis Getränke aus der Minibar. Es sind auch kleine Pier-Kabinen geplant. Anreise mit der Tram Nr. 9 vom Hauptbahnhof Den Haag nach Scheveningen. Parkhaus unterm Kurhaus. www.piersuites.nl

Der Pier: Flaniermeile 45 Meter über dem Wasser mit Lokalen und Shops. Magnet ist das Riesenrad. Für Wagemutige: Bungeeturm und Zipline. www.pier.nl/en

Den Haag/Scheveningen: Der Strand von Scheveningen ist der populärste von ganz Holland, nicht nur im Sommer. Regelmäßig Veranstaltungen.

www.holland.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2019)

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