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Livinghotel De Medici in Düsseldorf: Stein ist geduldig

Viele Nutzungen, ganz entlegene: das Livinghotel De Medici in Düsseldorf.
Viele Nutzungen, ganz entlegene: das Livinghotel De Medici in Düsseldorf.www.living-hotels.com
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Das Livinghotel De Medici bündelt im Komplex des historischen Düsseldorfer Stadthauses 400 Jahre Geschichte.

In kurzer Hose, Hemd und Pullover steht Dieter Linz zwischen seinen Klassenkameraden, fast alle in Uniform der Hitlerjugend. Auch er will Mitglied werden. Der Vater, ein Pfarrer, verbietet es. Später, als Teenager, entscheidet Linz selbst, dass er Christ bleiben will und beides nicht geht. Der jüngere Wolfgang Kannengießer hat nie den Wunsch, Hitlerjunge zu werden. Lieber ist er Messdiener. Beim Bäcker sieht er ein Werbeplakat für die Hitlerjugend, reißt es ab und wirft es weg. Einer hat ihn doch gesehen und zeigt ihn an. Zwei Tage lang wird er von der Gestapo verhört – hier, im alten Düsseldorfer Stadthaus.

Auch wenn die Ungeheuerlichkeiten bekannt sind, erstaunt hier vieles: die Geschichten klarsichtiger Kinder; die Fotos Düsseldorfer Bürger, die sich nach den Pogromen im November 1938 vor den Häusern verschleppter Mitbürger an deren Möbeln bedienen; auch die Historie des Gebäudes, in dem Deportationslisten verfasst wurden und die Gestapo unbescholtene Menschen verhörte.

Heute sind Geschichte, Gastronomie und Genuss einander nahe. Die Mahn- und Gedenkstätte liegt im Westflügel des Alten Stadthauses, einem Ensemble, das der Jesuitenorden ab dem 17. Jahrhundert erbaute. Kirche, Konvent und Gymnasium gehörten dazu. Im Westflügel befand sich das Jesuitenkolleg. Später diente dieser Teil als Polizeipräsidium, bevor er Sitz der Gestapo wurde. 1946 und 1947 tagte hier, wie zum Beweis der Elastizität der alten Mauern, der Entnazifizierungsausschuss. Seit 1987 ist er Sitz der Mahn- und Gedenkstätte. Im selben Komplex verbirgt sich das Hotel De Medici. Hier sitzen die Teilnehmer der Grand Tour im Kaffeehaus unter schwerer Kassettendecke und Leuchten mit Widderhörnern. So dicht ist die Historie des Alten Stadthauses, so eng das Hotel mit Kunst und Geschichte verwoben, dass Führungen angeboten werden; eine Grand Tour führt übers Hotel bis in die Verhörkeller der Gestapo und von dort in die Empore der Barockkirche St. Andreas, wo einst der Düsseldorfer Hof zur Messe Platz nahm.

Kunstliebende Medici

Die museale Qualität des Hotels ist vor allem der Sammelleidenschaft von Senior-Inhaber Max Schlereth geschuldet. Der Gründer des Immobilienunternehmens, aus dem ab 1982 die Derag Livinghotels hervorgingen, trennte sich von Teilen seiner Kunstsammlung, um das 2009 erworbene Haus auszustatten. Haubensessel vor einem gewaltigen Kamin und die mit Blattgold verzierte Stuckdecke geben in der Lobby den Ton vor. Von den Wänden schweigen Mitglieder der Medici-Sippe, darunter die Päpste Leo X. und Clemens VII.

Die vom Kaufmannsgeschlecht zu höchsten Ämtern in Kirche und Staat aufgestiegenen Florentiner passen nicht schlecht ins kunstliebende, lebensfrohe, prunksüchtige Düsseldorf. Anna Maria Luisa de' Medici ist sogar eng mit der Stadt verbunden. Sie wurde 1691 die zweite Frau des in Düsseldorf geborenen Jan Wellem, Herzog von Jülich und Berg, Kurfürst von der Pfalz und Pfalzgraf von Neuburg. Anna Maria Luisa fühlte sich in der Residenzstadt des Gatten wohl und machte sich daran, mit ihm eine Gemäldegalerie aufzubauen. Vom Düsseldorfer Schloss der beiden ist nur ein Turm geblieben, die Sammlung in der Welt verstreut, doch mit dem Hotel hat die Kurfürstin ein spätes Denkmal erhalten. Die Stuckdecke in der Lobby ist ihr zu Ehren der in der Basilica San Lorenzo in Florenz nachgebildet. In einer Vitrine ruht eine Nachbildung des Kurhuts von Jan Wellem. 2012 fand man das verloren geglaubte Original der Krone im Grab der treuen Anna Maria Luisa in der Krypta von San Lorenzo in Florenz.

Tapisserien, Gobelins, Pharaonen, Heiligenfiguren und Altäre in allen Winkeln spannen einen Bogen über ihre Epoche hinaus. Ein gläserner Lift schwebt im Renaissance-Treppenhaus vorbei an den Kopien antiker Skulpturen einem Jugendstil-Oberlicht entgegen. Die Gänge flankieren historische Lanzen und Speere. Zwischen Lobby und Lichthof ist eine Kollektion kunstvoller Spazierstöcke aus drei Jahrhunderten ausgestellt. Die Smokers' Lounge, wo ein Foto den rauchenden Helmut Schmidt zeigt, birgt eine Sammlung von 150 Pfeifen aus dem 19. Jahrhundert.

Schon die Lage des Hauses erfordert das Bekenntnis zur Kunst: Schräg gegenüber die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, neben der Andreaskirche die Kunsthalle mit der von Kay und Lore Lorentz einst gegründeten Kabarettbühne Kom(m)ödchen, unweit die Deutsche Oper am Rhein – mehr Kultur geht nicht auf engem Raum.

Jan Wellems Großvater, der zum Katholizismus konvertierte Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm, hatte die Jesuiten nach Düsseldorf gerufen und 1621 den Grundstein des Komplexes gelegt. Ihre Kirche St. Andreas ist heute wieder Klosterkirche. Pater Elias führt die Gäste ins Mausoleum hinterm Altarraum und erzählt aus dem Leben der ab 1622 erbauten Kirche. Mitten im Dreißigjährigen Krieg schuf der evangelische Künstler Johannes Kuhn prächtige Stuckarbeiten. Im Zweiten Weltkrieg wurden Chorraum und Mausoleum beschädigt; der Bildhauer und Beuys-Lehrer Ewald Mataré gestaltete die Grabkapelle neu und entwarf anstelle des zerstörten Altars einen schwarzen Tisch, schlank, modern inmitten der barocken Pracht.

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens wurde St. Andreas Pfarrkirche, das Kloster kurfürstliche Kanzlei, später preußischer Regierungssitz. 2015 begann es nach Umbauarbeiten sein neues Leben als Fünfsternehotel unter Auflagen des Denkmalschutzes. Deshalb ist auch jedes der 170 Zimmer und Apartments hinter der von Friedrich Schinkel entworfenen Fassade anders. Architektur und Interieur spielen mit der klösterlichen Vergangenheit. Die Kreuzgewölbe im Klostertrakt schmücken sakrale Kunstobjekte. Zimmer sind weit entfernt von der Kargheit des Konvents: Parkettböden, Marmorbäder, maßgefertigte Betten, kostenlose Minibar. Auch in der Fürstensuite im einstigen Wappensaal kann sich der Gast dem Himmel nahe fühlen: Sternparkett, Stuck, Gobelins. Doch weil kein Himmel ohne Hölle sein kann, öffnet sich der Blick von der fürstlichen Suite auf die Realität der Mahn- und Gedenkstätte. Im Alten Stadthaus sind Vergangenheit und Gegenwart immer eins.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2019)

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