Wirtschaftsmathematik: Wir haben für den Zufall kein gutes Gefühl

Paul Embrechts von der ETH Zürich spricht in Wien über Risikomanagement.

Vor einem Jahr stürmte der Orkan „Kyrill“ mit voller Wucht gegen Norddeutschland. Die Sturmflut bedrohte die Deiche, und Niedersachsens Ministerpräsident Wulff sah seine Küstenschutzpolitik von Experten attackiert: Ausgerechnet das Bundesland mit der längsten Waterkant, so schallte es ihm aus der Fachwelt entgegen, unterlasse es, sich angemessen gegen die zunehmende Bedrohung zu wappnen. Mit großer Anteilnahme, so der Hauptmann eines Deichverbandes in der Nähe von Bremen, hätten viele Anrainer das unglückliche Schicksal der Stadt New Orleans verfolgt, wo ein Hurrikan im August 2005 eine absehbare, aber lange verdrängte Überflutung auslöste.

Wie geht man mit Risiken um, rational und effektiv? Wann wird ein Risiko als tolerierbar eingestuft? Klassische Antwort: Dann, wenn die Kosten für seine Minimierung höher sind als die Kosten, die man bei Eintritt des Risikos zu erwarten hat. In diesem Fall sind nämlich weitere Maßnahmen zur Risikokontrolle nicht praktikabel. Hierzu hat man zunächst einerseits die Eintrittswahrscheinlichkeit, andererseits das Schadensausmaß einer möglichen Gefahr abzuschätzen. Je nachdem, ob der Schadensfall häufig oder gelegentlich vorkommt, entfernt vorstellbar oder unvorstellbar ist, und ob der Schaden selbst als unwesentlich, geringfügig, kritisch oder vernichtend eingestuft wird, ist zu bewerten, welche Szenarien akzeptabel, erträglich oder inakzeptabel sind. Es liegt auf der Hand, dass bei solchen Analysen mathematische Modelle eine eminente Rolle spielen.

Überflutung und Kreditausfälle

Nicht nur beim Schutz von Küstenlandschaften durch die Errichtung von Deichen, auch im Banken- und Finanzwesen. Darum wird Paul Embrechts (ETH Zürich), ein führender Risiko-Experte, am Donnerstag im Wiener math.space über „Holländische Deiche und Risikokapital für Banken und Versicherungen“ sprechen: über die Flutkatastrophe des Jahres 1953 in Holland und auch über Risiken bei Hedgefonds und die jüngsten Kreditausfälle im US-Immobilienmarkt, die sogar zur Existenzkrise von europäischen, im nationalen Geschäft verwurzelten Instituten führten.

Paul Embrechts war es, der dem österreichischen Finanzmathematiker Walter Schachermayer ein Experiment vorführte, das zeigt, wie wenig wir den Zufall vorhersehen können: Eine Gruppe von Studenten soll 200-mal eine Münze werfen und je nach „Kopf“ oder „Zahl“ die Ergebnisse 0 oder 1 auf einen Zettel notieren. Eine andere Gruppe soll jemanden bestimmen, der einfach nur willkürlich nach dem Zufallsprinzip 200-mal „null“ oder „eins“ sagt, und dies wird auch auf einem Zettel notiert.

Embrechts gelingt es fast immer, anhand der beiden Zettel festzustellen, welcher von ihnen von der ersten und welcher von der zweiten Gruppe stammt. Serien von sieben oder mehr aufeinanderfolgenden Nullern bzw. Einsern werden nämlich kaum willkürlich gesagt, kommen aber beim 200-maligen Werfen einer Münze sehr sicher vor.

Ähnlich ist es bei der Beurteilung von Risiken, die aus Gefahrenquellen stammen, welche vom Zufall abhängen, unklug, allein seinem Empfinden nachzugeben. Wir haben für den Zufall kein gutes Gefühl. Zwar soll die Intuition nie außer Acht gelassen werden, aber auch die Mathematik kann bei der Handhabung von Risiken helfen.

Paul Embrechts spricht am 9.1. um 18 Uhr im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und am 10. 1. um 19 Uhr im math.space, MuseumsQuartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2008)

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