Ein Grenzland und mehrere Herrschaftsgebiete

Awarische Gürtelschnallen, gefertigt im slawischen Gebiet.
Awarische Gürtelschnallen, gefertigt im slawischen Gebiet. (c) Scilog/Masaryk-Universität Brünn
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Die Auswertung archäologischer Fundstellen liefert ein Bild über das Leben in der March-Thaya-Region vom Früh- bis zum Hochmittelalter. Von der Lage zwischen den großen Machtzentren profitierte das Gebiet im heutigen Weinviertel und Mähren.

Trennlinien, Kontaktzonen oder Niemandsland: Die nordöstliche Grenze Österreichs an Thaya und March hat in ihrer wechselvollen Geschichte alle drei Stadien durchlaufen. Den gegenwärtigen Bewohnern in Österreich, Tschechien und der Slowakei ist der Eiserne Vorhang, der nach vier Jahrzehnten 1989 beseitigt wurde, noch gegenwärtig. Einige Generationen zuvor gab es in der Habsburgermonarchie einen regen Austausch zwischen den Bevölkerungen, Südmähren wurde – obwohl einem anderen Kronland zugehörig – vielfach als Teil Niederösterreichs gesehen.

Ein österreichisch-tschechisches Forschungsprojekt spürt in ebendieser Region den Fragen der Interaktion, des Austausches und der Kommunikation in der Vergangenheit nach – nicht im vorigen Jahrtausend, sondern im Frühmittelalter, also vom 7./8. Jahrhundert bis gegen 1200. Schon damals standen sich in unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Systeme gegenüber. Das Projekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF und der tschechischen Förderungsagentur Grantová getragen, die Projektleitung liegt beim Wiener Archäologen Stefan Eichert.

Awaren, Slawen, Karolinger

Die Forschungsarbeiten zeigen, dass die Regionen Weinviertel und Mähren über Jahrhunderte im engen Austausch miteinander standen und von der peripheren Lage zu den Machtzentren profitierten. Bei den Machtblöcken handelte es sich in der ersten Phase des Frühmittelalters um die Gebiete mit awarischer und slawischer Besiedlung, im 9. Jahrhundert standen einander dann Großmähren und das Karolingerreich gegenüber. Im 11. Jahrhundert kam es schließlich zu einer klaren Grenzziehung zwischen der Babenberger Mark, dem přemyslidischen Herrschaftsgebiet im Norden und dem ungarischen Reich der Árpáden im Osten.

Stefan Eichart und die Teams in Österreich und Tschechien formen das Bild gleich einem Puzzle, indem sie die dürftigen schriftlichen Quellen dieser Zeit mit den Funden aus Siedlungen und Grabfeldern zusammenführen. Wobei keine eigenen Grabungen erforderlich waren, da ältere Fundstellen gut dokumentiert, aber im kulturellen Kontext nicht ausgewertet waren. Zudem kamen beim Bau der Weinviertel-Autobahn (ab 2010) wertvolle Fundstücke ans Tageslicht, und bereits 2013/14 wurden zwei der 39 Hügelgräber von Bernhardsthal archäologisch untersucht. Außerdem hat das Land Niederösterreich mit hochauflösenden Laserscans (dem Lidar-Verfahren) die Oberflächen dieser Gebiete aufgenommen.

Im Fundort Lány am Zusammenfluss von Thaya und March konnten sowohl slawische Keramik als auch awarische Gürtelgarnituren (siehe Bild) gefunden werden. Man habe zudem Hinweise auf eine Metallgussproduktion gefunden, sagt Eichert. Die awarischen Beschläge wurden somit im slawisch besiedelten Gebiet gefertigt. Die Gegenstände wurden im Rahmen der experimentellen Archäologie mit heutigen Mitteln nochmals hergestellt.

Im Bereich zwischen den Machtzentren konnten sich die Zentralmächte nur phasenweise durchsetzen. Gleichzeitig bestand mit einigen dieser Zentren wie den mährischen Burgwallsiedlungen Břeclav-Pohansko (Lundenburg) und Mikulčice sowie den westlichen Königshöfen entlang der Donau ein reger Kontakt.

Christentum setzte sich durch

Deutlich wird der kulturelle Wandel bei der religiösen Ausrichtung und den Bestattungsformen. Bis ins 8. Jahrhundert habe es heidnische Bevölkerungsteile gegeben, wie die Awaren und slawische Gruppen, so Eichert. Bei den frühen Slawen war die Brandbestattung üblich, bei den Awaren und Christen die Körperbestattung. Ab dem 9. Jahrhundert hat sich das Christentum durchgesetzt, die Toten wurden nur noch begraben.

LEXIKON

Experimentelle Archäologie. In diesem archäologischen Teilbereich werden der kulturelle Bestand bzw. Veränderungen anhand von Reproduktionen der Gebrauchsgüter rekonstruiert. Mit welchen Materialien und welchen Technologien wurde gearbeitet, wo kamen sie erstmals zum Einsatz?

Das Projekt im Thaya-March-Gebiet ist eine österreichisch-tschechische Forschungskooperation, die in diesem Jahr ausläuft. Die Forschung leitet der Wiener Archäologe Stefan Eichert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2019)

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