Digitale Geisteswissenschaften

Museen, Archive und Sammlungen in Quarantäne

Nicht erst seit Corona setzen Museen und universitäre Sammlungen auf die Digitalisierung ihrer Objektbestände, um ihre Sicht- und Nutzbarkeit zu verbessern.
Nicht erst seit Corona setzen Museen und universitäre Sammlungen auf die Digitalisierung ihrer Objektbestände, um ihre Sicht- und Nutzbarkeit zu verbessern.(c) imago images/Westend61 (Manu Reyes via www.imago-images.de)
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Ins Netz gestellt, verliert ein Museumsobjekt nicht nur seine physische Umgebung, sondern auch alle Anhaltspunkte für seine Einordnung. Das ist nicht zwangsläufig ein Verlust: Es eröffnet neue Möglichkeiten, kulturgeschichtliche Daten zu vermitteln.

Das Kriminalmuseum der Universität Graz befindet sich in der Heinrichstraße 18. Die ursprünglich als Lehrmittelsammlung für Studierende, Juristen und Kriminalbeamte eröffnete Einrichtung ist heute längst für alle Interessierten geöffnet. Und zwar nicht nur als physischer Raum: In der virtuellen Version kann man etwa in einem historischen „Tatortkoffer“ stöbern oder mit Bezug auf ausgewählte Objekte des Museums in die Geschichte der Wilderei eintauchen.

Nicht erst seit Corona setzen Museen und universitäre Sammlungen auf die Digitalisierung ihrer Objektbestände, um ihre Sicht- und Nutzbarkeit zu verbessern. Für Besucherinnen und Besucher, aber auch für Forschungszwecke. Die pandemiebedingten Schließungen haben diese Prozesse vielerorts angekurbelt – und durchaus auch neue Fragen aufgeworfen. Nicht nur nach dem Wie, also nach den Technologien und Methoden, sondern auch nach dem Was. Genügt es beispielsweise, die Objekte lediglich im Sinne einer Inventarisierung zu erfassen, oder ist damit die Wissensvermittlung im Netz und die Ansprache verschiedener Zielgruppen nicht von Vornherein zum Scheitern verurteilt? Der jüngst erschienene von Wissenschaftshistoriker Udo Andraschke und Kunsthistorikerin Sarah Wagner herausgegebene Sammelband „Objekte im Netz“ beleuchtet die vielfältigen Herausforderungen der musealen Digitalisierung.

Spiel mit Kontexten

Einem besonderen Aspekt widmen sich Eva Mayr und Florian Windhager vom Departement für Kunst- und Kulturwissenschaften der Donauuniversität Krems in ihrem Beitrag: dem Kontext. Er ist für die Interpretation und Einordnung von Objekten elementar. „Mit jeder Veränderung von Kontext oder Hintergrund kann sich unser Verständnis eines kulturellen Objekts ändern – teils auch fundamental“, so die Psychologin Mayr, die zu Informationsvisualisierung, kognitiven Prozessen und informellem Lernen forscht. Sie und Windhager betonen, dass es nie nur einen einzigen Kontext gibt, sondern dass stets eine Fülle an möglichen Verortungen existiert. Damit einher geht eine ebensolche Fülle an Bedeutungsebenen.

Neben dem räumlichen und zeitlichen Ursprungskontext kann ein Objekt etwa auch kulturell und praktisch eingebettet sowie mit bestimmten Ereignissen oder Menschen verknüpft werden. Kuratorinnen und Kuratoren von Ausstellungen müssen sich demnach nicht nur für bestimmte Objekte entscheiden, sondern auch für ihre kognitive und kommunikative Rahmung im Museum.

Aber was bedeutet das nun für die virtuellen Pendants? „Befreit von den Restriktionen des Realraums eröffnen die Informationsräume von Datenbanken neue Möglichkeiten der Gruppierung und Kontextualisierung auf unseren Bildschirmen“, sagt Mayr. Das heißt, Objekte können hier sowohl in Detailansicht, als auch in ganz verschiedenen kategorialen Einordnungen betrachtet werden. Visualisierungsverfahren, die dem gerecht werden, sind jedoch rar gesät. Windhager: „Derzeit gibt es kaum Techniken, um multiple Rahmungen von digitalen Objekten auch über lokale Sammlungen hinaus visuell zu vermitteln.“

In dem FWF-Projekt „PolyCube“ hat sich Mayr in den vergangenen vier Jahren damit auseinandergesetzt, wie kulturgeschichtliche Daten abseits von zeitlichen und räumlichen Kategorisierungen anhand vielfältiger Kontextdimensionen besser vermittelt werden können. Ein Beispiel für eine große Sammlung solcher kulturgeschichtlichen Objekte ist die virtuelle Bibliothek Europeana, die Zugang zu Tausenden europäischen Archiven und Museen und damit zu einem wesentlichen Ausschnitt des kulturellen Erbes gewährt. In mehreren Evaluationen von polykontextuellen Visualisierungen konnte Mayr im Projekt „PolyCube“ zeigen, dass speziell integrierte, zeitorientierte Darstellungen und nahtlose Übergänge zwischen den Perspektiven (geo-temporal, kategorial-temporal, relational-temporal) tatsächlich ein besseres Verständnis für die Vielfalt der Kontextdimensionen ermöglichen.

Chance für die Lehre

In das Digitalisierungsprojekt des eingangs erwähnten Kriminalmuseums waren übrigens auch Studierende der Universität Graz eingebunden. Dies sei eine gute Möglichkeit, praktische Kompetenzen im Bereich der musealen Objektvisualisierung zu vermitteln, erklärt die Museologin Bernadette Biedermann in „Objekte im Netz“: „Ein Beitrag zur Professionalisierung der Ausbildung im Bereich der universitären Museumsarbeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2021)

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