Wort der Woche

Ganzheitlicher Blick auf Zoonosen

Um künftig schon frühzeitig etwas gegen eine Pandemie unternehmen zu können ist ein ganzheitlicher Blick auf Zoonosen nötig.

In der Vorwoche war an dieser Stelle etwas über die Tollwut zu lesen – und wie es gelungen ist, diese tödliche Krankheit in Europa auszurotten (indem Füchse immunisiert wurden). Dieser Erfolg ist leider singulär. Denn es gibt weiterhin viele Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Mensch hin- und herspringen („Zoonosen“) und ebenso fatal sind – man denke z. B. an Grippe oder Tuberkulose. Rund 60 Prozent aller Infektionskrankheiten beim Menschen gehen auf Erreger zurück, die von Tieren stammen. Tendenz steigend: 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten sind Zoonosen – und diese kommen in immer rascherer Folge. Seit der Millenniumswende waren das etwa Sars-CoV, Vogelgrippe (Influenza A/H5N1), Schweinegrippe (A/H1N1), Ebola, West-Nil-Virus, Mers-CoV, Zika oder neue E-coli-Stämme. Und nun der Corona-Erreger Sars-CoV-2.

Bisher haben wir diese Gefährdungen schulterzuckend zur Kenntnis genommen, nach dem Motto: Wird schon nicht so schlimm sein – und wenn, dann nicht bei uns. Historische Seuchenzüge wie Pest, Cholera oder Spanische Grippe waren in Bücher verbannt, vergessen war auch, dass Epidemien ursächlich z. B. zum Untergang des Römischen Reichs beigetragen haben, wie der US-Historiker Kyle Harper in seinem wunderbaren neuen Buch „Fatum“ (567 S., C.H. Beck, 32 €) nachweist.
Mit der Coronapandemie ist diese Phase des Ignorierens nun zu Ende.

Wir müssen uns einigen Wahrheiten stellen: Es wird immer wieder Epidemien mit neuen Krankheitserregern geben, und deren Ursache ist stets in einem Zusammenspiel zwischen menschlicher Gesundheit, Tiergesundheit und Umwelt zu finden. Dass in jüngster Zeit mehr Zoonosen auftreten, liegt u. a. am Bevölkerungswachstum, am Klimawandel, an der wachsenden Mobilität, der intensivierten Nutztierhaltung und der Zerstörung des Lebensraums von Wildtieren.
Die einzig richtige Antwort darauf wurde schon vor einem Jahrzehnt formuliert: Unter dem Schlagwort „One Health“ sollen Medizin, Veterinärmedizin und Ökologie nicht mehr getrennt voneinander, sondern gemeinsam betrachtet und erforscht werden. Die Hoffnung dahinter ist, dass wir dann stärker präventiv tätig sein können – und nicht, wie heute, auf fatale Entwicklungen nur reagieren können. Klingt einleuchtend, ist in der Praxis aber nicht so einfach. Denn „One Health“ erfordert eine interdisziplinäre Kooperation verschiedener Fachrichtungen, die noch dazu an unterschiedlichen Universitäten angesiedelt sind. Diese strikte Trennung aufzuweichen ist ein Gebot der Stunde.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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