Wort der Woche

Die Coronakrise und die Qualität der Ernährung

Die Coronakrise droht nicht nur den Hunger zu vermehren, sondern auch die Qualität der Ernährung von Millionen Menschen zu senken.

Eines der hehrsten Ziele, die sich die Menschheit in den „Nachhaltigen Entwicklungszielen“ gegeben hat, ist die Auslöschung des Hungers bis zum Jahr 2030. Obwohl auf der Welt eigentlich genügend Lebensmittel für alle produziert werden – auch in Zeiten von Corona –, kommt man diesem Ziel aber nicht näher. Im Gegenteil: Wie die UN-Welternährungsorganisation FAO diese Woche bekannt gegeben hat, waren im Jahr 2019 rund 690 Mio. Menschen unterernährt, um zehn Mio. mehr als im Jahr zuvor. Das sind 8,9 Prozent der Menschheit.

Das war freilich vor dem Ausbruch der Corona-pandemie. Diese lässt nun laut dem druckfrischen Welternährungsbericht befürchten, dass die Zahl der Hungernden heuer um weitere 83 bis 132 Mio. Menschen steigt (www.fao.org).

Die Unterversorgung mit Nahrung ist dabei nur ein Aspekt des Problems: Noch stärker von der Krise betroffen könnte die Qualität der Ernährung sein, wodurch sich das Risiko für alle Formen von Fehlernährung erhöht. Das betrifft Mangelernährung genauso wie Fettleibigkeit (von letzterer sind mehr als 13 Prozent der Menschheit betroffen).

Durch die coronabedingte Weltwirtschaftskrise, die Unterbrechung von Lieferketten, die wachsende Arbeitslosigkeit und den Ausfall von Überweisungen von Gastarbeitern an ihre Familien daheim können sich immer weniger Menschen eine gesunde Ernährung leisten, so die FAO-Experten. Sie haben sich die Kosten für drei verschiedene Nahrungsqualitäten angesehen und mit den Haushaltseinkommen verglichen: Demnach ist eine abwechslungsreiche, gesunde Ernährung (die auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes vorbeugt) um 60 Prozent teurer als eine Ernährungsweise, die zumindest alle grundlegenden Makro- und Mikronährstoffe enthält – und sogar fast fünfmal so teuer wie Nahrungsmittel, die ausschließlich den Kalorienbedarf decken. Das bedeutet, dass sich mehr als 1,5 Mrd. Menschen nicht einmal Nahrung leisten können, die die grundlegendsten Nährstoff-bedürfnisse befriedigt; und mehr als drei Mrd. Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. Tendenz wegen Corona stark steigend.

Aus diesen erschütternden Zahlen zieht die FAO zwei Folgerungen: Zum einen müssen die (regional sehr unterschiedlichen) Gründe gefunden und eliminiert werden, warum gesunde Lebensmittel viel teurer sind als kalorienreiche. Und zum anderen muss die Armut auf der Welt dringend weiter reduziert werden. Was in Zeiten der Coronakrise alles andere als einfach ist.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2020)

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