Mit Gefühl am Eistraum festhalten

das Programm von Miriam Ziegler und Severin Kiefer.
das Programm von Miriam Ziegler und Severin Kiefer.REUTERS
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Das Eiskunstlaufpaar Miriam Ziegler und Severin Kiefer nähert sich der Weltspitze an. Dank Zusatzeinheiten im Fitnesscenter und der Hilfe von Olympiasieger Bruno Massot soll bei der EM in Minsk der nächste Schritt hin zu Olympia 2022 gelingen.

Minsk gilt gemeinhin nicht als gefragtes Reiseziel, schon gar nicht bei tiefen Temperaturen im Jänner. Miriam Ziegler und Severin Kiefer aber verschlägt es kommende Woche in die weißrussische Hauptstadt, bei den Europameisterschaften möchte Österreichs Eiskunstlaufpaar ab Mittwoch seinen Aufstieg in die Weltspitze weiterschreiben. Vielleicht ist es ein gutes Omen, dass sie gerade dort im Oktober ihren ersten von zwei Siegen in dieser Saison gefeiert haben. „Es schadet sicher nicht, dass wir die Eishalle schon kennen und eine positive Erfahrung haben“, sagt Kiefer. Sonst sei Minsk im Gegensatz zur WM-Destination Japan im März „kein Ort, an den man unbedingt auf Urlaub fahren will“. Zwölf, acht, neun, sieben lauten die EM-Resultate, seit das Duo 2013 zusammengefunden hat, diesmal soll der Sprung in die Top fünf gelingen.

Im Lauf der vergangenen Jahre haben Ziegler/Kiefer ihr Standing bei den Preisrichtern kontinuierlich verbessert, sich in der Szene einen Namen gemacht. „Rang sechs ist aus eigener Kraft drin und das Minimalziel, dann kommt es auf die Tagesverfassung an“, sagt Kiefer zum erwarteten Duell gegen die Russen Darja Pawljutschenko/Denis Chodykin um Platz fünf. Viermal sind die Paare in Wettkämpfen heuer aufeinandergetroffen, zweimal lagen die Österreicher voran – auch in Minsk. „Mehr als Fünfter wäre sensationell, aber dafür sind wir auf Fehler der anderen angewiesen.“ Als Favoriten gelten in Abwesenheit der deutschen Olympiasieger Aljona Savchenko/Bruno Massot die Russen Jewgenija Tarassowa/Wladimir Morosow.

Eigentlich hätte in Minsk auch Trainer Jean-François Ballester dabei sein sollen. Anfang Dezember aber erreichte Ziegler/Kiefer die traurige Nachricht von dessen plötzlichem Tod. Mit 53 Jahren erlag der Franzose einem Herzinfarkt. „Es ist noch immer ein bisschen schwierig. Aber wir versuchen, das Beste daraus zu machen und von den Erinnerungen zu zehren“, berichtet Ziegler. Kiefer kannte Ballester schon seit gut 15 Jahren, die vergangenen drei Jahre betreute dieser das Paar vor allem im Sommer, aber auch punktuell während der Saison und lieferte damit die perfekte Ergänzung zu ihrem Hauptcoach, Knut Schubert, am Berliner Stützpunkt. Die Österreichischen Staatsmeisterschaften in Gmunden ließen die beiden daraufhin aus und legten stattdessen im Fitnesscenter die Basis für die zweite Saisonhälfte. „Wir waren mit dem Kopf nicht bei der Sache, das Verletzungsrisiko wäre zu groß gewesen“, so Kiefer.

Tipps vom Olympiasieger. Ballester war es auch, der einst den Kontakt zu Bruno Massot herstellte. Der gebürtige Franzose gewann in Pyeongchang mit Aljona Savchenko Olympia-Gold, heuer legen beide eine Wettkampfpause ein. Massot half Ziegler/Kiefer schon als Aktiver, seit Sommer ist er nun offiziell Teil ihres Betreuerteams. „Das ist eine große Ehre, er kann uns mit seiner Erfahrung extrem viel mitgeben“, betont Ziegler. Eine exakte Aufgabenteilung mit Schubert gibt es nicht, Massot wird die Linie von Ballester, mit dem er über 20 Jahre zusammengearbeitet hat, weiterführen. „Vier Augen sehen mehr als zwei, und er weiß natürlich, wie man ganz nach vorn kommt“, sagt Kiefer.

So ist der geworfene Twist, bislang nicht das stabilste Element der Österreicher, Massots Spezialität. Ziegler erzählt von einer Übung, in der er sie ohne Drehungen einfach in die Luft geworfen hat: „Seine Kraft ist unglaublich, ich hatte richtig Angst.“ Die Vorteile der Zusammenarbeit lägen auf der Hand. „Die Fehlerfindung und der Lernprozess gehen viel schneller, wenn jemand weiß, was der Gegenpart braucht bzw. machen muss.“

Ziegler/Kiefer galten schon immer als sprungstarkes Duo, inzwischen überzeugen sie die Preisrichter aber auch mit Ausdruck und künstlerischer Note. „Wir bekommen wahnsinnig viel Feedback, dass wir als Paar auf dem Eis ein besondere Beziehung ausstrahlen. Das zeichnet uns aus, das versuchen wir, weiter zu verbessern“, sagt die 24-jährige Burgenländerin. Selbst mit Fehlern würden die Punkte heuer besser ausfallen als in der Vergangenheit, „weil mehr gemeinsames Gefühl drin ist“, wie ihr fünf Jahre älterer Partner weiß. Der Internationale Eislauf-Verband (ISU) hat die Heeressportler mit einer Regeländerung im Sommer auf ihrem Weg bestärkt: Die Punkte für Vierfachwürfe wurden herabgesetzt, Qualität und saubere Ausführung des Programms aufgewertet.

Deshalb haben Ziegler/Kiefer von den Vierfachen ebenso Abstand genommen wie vom früher bereits gezeigten parallelen Dreifach-Lutz. „Das wäre Punkteselbstmord, weil es einfach nichts bringt“, erklärt er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Stattdessen arbeitet das Duo mit der Schweizer Sportwissenschaftlerin Myriam Leuenberger, selbst Ex-Eiskunstläuferin, verstärkt an der Intensität. „Wir wollen bis zum Ende alles reinhauen können und nicht dahinkriechen“, erklärt Kiefer, der mit Ziegler im Kurzprogramm zu „Fortitude“ von Haevn und zu „Hello“ und „Rolling in the Deep“ von Adele in der Kür aufs Eis geht. „Schöne Lieder, aber nicht unsere Lieblingsrichtung“, erklären die Indie-Fans unisono.


Erst Heim-EM, dann Olympia. Das große Ziel von Ziegler/Kiefer sind ihre dritten Olympischen Spiele 2022 in Peking, in Sotschi und zuletzt in Pyeongchang verpassten sie jeweils die Kür. Die Schritte bis dorthin sind klar definiert: Top fünf bei der EM und Top Ten bei der WM 2019, 2020 um EM-Medaillen mitkämpfen und bis 2022 in die Top fünf weltweit vorarbeiten. „Dann ist mehr oder weniger alles möglich“, möchte der Salzburger eine Medaille in drei Jahren nicht ausschließen. Es wäre die erste im Paarlauf, seit 1956 Sissy Schwarz und Kurt Oppelt triumphierten. Dabei ist Österreich dank früherer Größen wie Karl Schäfer und Trixi Schuba mit 20 Stück Edelmetall (sieben davon in Gold) nach den USA und Russland (inklusive Sowjetunion) noch immer die Nummer drei im ewigen Ranking.

„Das Training hat uns die Ergebnisse gebracht, die wir erwartet haben, deshalb sind wir zuversichtlich, dass es so weitergeht, sofern keine Verletzung dazwischenkommt“, sagt Kiefer. Er selbst hat als Kind viele Sportarten ausprobiert, ist unter anderem Jugendskirennen gegen Marcel Hirscher gefahren. „Damals habe ich mich gefragt, warum ich zwölf Sekunden hinten bin, heute weiß ich es.“ Die Entscheidung fürs Eiskunstlaufen hat er nie bereut. Jahre später sind die Träume groß, der 28-Jährige hält zugleich aber fest: „Unser Leben hängt sicher nicht davon ab, ob wir eine Olympiamedaille holen.“

Das nächste Highlight erwartet Ziegler/Kiefer allerdings mit der Heim-EM in Graz schon im nächsten Jahr. Österreichs Toppaar freut sich nicht nur auf den Auftritt vor Familie und Freunden, sondern sehnt den überfälligen Aufschwung für ihren Sport herbei. Wie viele Randsportarten hat auch Eiskunstlaufen mit fehlender Infrastruktur und knappen finanziellen Mitteln zu kämpfen. „Es hat einen Grund, warum wir in Berlin und nicht in Wien oder Salzburg sitzen“, meint Kiefer, der mit seiner Partnerin – die beiden sind auch privat ein Paar – seit 2014 in der deutschen Hauptstadt trainiert. „Ich hoffe wirklich, dass die Leute sehen, was für ein cooler Sport das ist, und es langfristig einen Effekt hat“, meint Ziegler.

Seiner Vorbildrolle ist sich das Duo bewusst und überzeugt, bereits etwas bewegt zu haben. Immerhin treten heuer mit Sara Dana/Livio Mayr sowie Heidrun und Erik Pipal zwei rot-weiß-rote Paare bei Junioren-Grands-Prix an. „Ich finde es cool, wenn wir andere motivieren können, auch wenn es mit wenig Eiszeit und ohne ausgebildeten Paarlauftrainer in Österreich schwierig ist“, sagt Ziegler. Dass es trotzdem gelingen kann, möchte sie mit Kiefer bei der EM einmal mehr zeigen.

187,01

4

2020

Zahlenspiel

Punkte beträgt die Bestmarke von Miriam Ziegler und Severin Kiefer, aufgestellt beim Grand Prix in Moskau im vergangenen November. Der Weltrekord der Deutschen Savchenko/Massot liegt bei 245,84.

Österreicher treten bei den Titelkämpfen in Minsk kommende Woche an: Neben Zieger/Kiefer geben in den Einzelbewerben Luc Maierhofer, 16, und Sophia Schaller, 18, ihr EM-Debüt.

EM in Graz. Nach 20 Jahren werden Ende Jänner 2020 erstmals wieder EM-Medaillen in Österreich vergeben.

Frauen

Männer

Eistanz

Die übrigen Disziplinen

Mit Spannung wird das Duell zwischen Olympiasiegerin Alina Sagitowa und ihrer ehemaligen Trainingskollegin Jewgenija Medwedjewa (beide RUS), die im Sommer nach Kanada gewechselt ist, erwartet.

Der sechsfache Europameister Javier Fernández aus Spanien gibt in Minsk seine Abschiedsvorstellung.

An den Franzosen Gabriella Papadakis/ Guillaume Cizeron dürfte kein Weg vorbeiführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2019)

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