Gymnastik: Die Überforderung im Kampfgericht

Nicol Ruprecht ist Österreichs Aushängeschild in der Rhythmischen Gymnastik und war bei Olympia 2016 in Rio (20.) dabei.
Nicol Ruprecht ist Österreichs Aushängeschild in der Rhythmischen Gymnastik und war bei Olympia 2016 in Rio (20.) dabei. (c) imago images / Beautiful Sports (BEAUTIFUL SPORTS/U. Fassbender)
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Nicol Ruprecht wurde bei der WM klar unterbewertet. Für ÖFT-Funktionär Robert Labner wird die Jury durch Zeitdruck und komplexe Regeln der Qualität des Sports nicht gerecht.

Wien. Für Nicol Ruprecht glich der Auftakt der WM in Baku wohl einem Schlag ins Gesicht. Seit Jahren trotzt Österreichs beste Rhythmische Gymnastin den Widrigkeiten des Randsportdaseins in der Heimat, suchte beispielsweise in Eigenregie eine neue Trainingshalle, und wurde nun im Rennen um ein Olympiaticket „Opfer eines Bewertungsskandals“, wie es in der Aussendung des Österreichischen Turnverbandes (ÖFT) hieß.

Lediglich 17,350 Punkte bekam Ruprecht für ihre Kür mit dem Ball, damit fand sich die Wahl-Wienerin nach dem Auftakt nur auf Rang 48 wieder. Die unerklärlichen Abzüge von stolzen 2,150 Zählern in der Kategorie Ausführung sind es, die ÖFT-Generalsekretär Robert Labner auch am Dienstag noch ärgern. „Wir haben lange überlegt, ob wir das Wort Skandal verwenden sollen, aber da ist sie rasiert worden“, sagt er.

Wie bei jeder WM war auch in Baku ein EDV-Kontrollsystem im Einsatz, das bei stark divergierenden Bewertungen anschlägt, so auch in diesem Fall. Die Kampfrichterinnen aus Finnland und der Mongolei wurden nach wiederholten Falschbewertungen verwarnt und schließlich disqualifiziert. Ruprecht aber hilft das nicht mehr, denn im Gegensatz zu den Schwierigkeitsnoten, die beeinsprucht werden können, fallen jene für die Ausführung in den subjektiven Ermessensspielraum jeder Kampfrichterin und sind damit endgültig. „Aber ohne eindeutigen Fehler darf man einfach nicht so viel abziehen“, hält Labner fest.

Der ÖFT-Funktionär legt Wert darauf, dass Ruprecht nicht die einzige Betroffene war und hinter der öffentlichen Beanstandung der Wertung weder Korruptionsverdacht noch vermutetes Bashing kleiner Nationen stecke. Vielmehr soll auf die Überforderung der Kampfrichterinnen aufmerksam gemacht werden. „Sie können mit der Leistungssteigerung der Sportlerinnen nicht mithalten“, erklärt Labner. Bei Groß-Events kommen zwar nur jene der höchsten Ausbildungskategorien zum Einsatz, die als Profis oder Verbandsangestellte finanziell unabhängig sind. Doch lange Wettkampftage, in denen eine Höchstschwierigkeit nach der anderen unter hohem Zeitdruck gewertet werden müsse, brächten sie an und über ihre Grenzen. „Sie sind überfordert, können das nicht sicher oder zumindest nicht den ganzen Tag lang umsetzen.“ Seine Unzufriedenheit mit den Wertungen, speziell in der Gymnastik, habe kürzlich sogar Weltverbandspräsident Morinari Watanabe in einem E-Mail kundgetan, berichtet Labner der „Presse“.

Bei der WM in Baku ist Körperbeherrschung in Perfektion zu sehen.
Bei der WM in Baku ist Körperbeherrschung in Perfektion zu sehen. (c) imago images / Beautiful Sports (BEAUTIFUL SPORTS/U. Fassbender)

Die Subjektivität der Kunst

Eine Abkehr vom Bewertungssystem mit subjektiven Elementen steht für den ÖFT-Generalsekretär aber nicht zur Diskussion. „Gerade bei der Gymnastik geht es um den künstlerischen Aspekt, der den Kern des Sports ausmacht“, so Labner. Deshalb müssten die Kampfrichterinnen mehr trainieren, „wie die Sportlerinnen auch“, und womöglich müsse das Regelwerk vereinfacht werden. Dadurch würden sich Übungen und Elemente zwar verändern, „aber wie immer wird diejenige gewinnen, die sich am besten an die Regeln hält“.

Für Ruprecht wird der Weg nach Tokio hart. Mit dem Reifen kam die 26-Jährige zwar auf 19,250 Punkte, als Halbzeit-34. braucht sie jedoch mit Band und Keulen ähnliche Wertungen für das Mehrkampffinale der Top 24, in dem es um die 16 Tickets geht. Andernfalls bietet sich ihr in der Weltcupserie im April 2020 die nächste Chance auf die zweite Olympiaqualifikation nach Rio 2016.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2019)

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