Rom zeigt Brüssel die kalte Schulter

Lega-Chef Salvini geht auf Konfrontation mit Brüssel und überlegt eine Spitzenkandidatur bei der EU-Wahl.
Lega-Chef Salvini geht auf Konfrontation mit Brüssel und überlegt eine Spitzenkandidatur bei der EU-Wahl.(c) REUTERS (Remo Casilli)
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Die Regierung will trotz Mahnungen aus Brüssel keine Änderungen am umstrittenen Budgetentwurf vornehmen. Salvini erwägt eine Kandidatur als Kommissionspräsident.

Wien/Brüssel/Rom. Angela Merkel will mit allen Mitteln verhindern, was seit Vorliegen des italienischen Haushaltsentwurfs für 2019 wieder in aller Munde ist: Eine Rückkehr der Eurokrise – diesmal aber in ungleich größerer Dimension. Die deutsche Kanzlerin nahm ihren Amtskollegen, Giuseppe Conte, deshalb am Rande des Brüsseler EU-Gipfels zur Seite und redete ihm zu, das Budget noch einmal zu überdenken.

Viel dürfte sie nicht erreicht haben. Während der Entwurf – mit dem die Regierung kostspielige Wahlversprechen einlösen will – in der Kommission für Kopfschütteln sorgt, weigert sich Rom beharrlich, etwas daran zu ändern. „Dafür gibt es keinen Spielraum“, betonte Conte am Mittwoch in Brüssel. Um eine Eskalation des Streits zu verhindern, reiste Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici am Donnerstag für einen zweitägigen Besuch nach Rom, „mit vielen Fragen zum Haushaltsplan“ im Gepäck. Der Franzose will dort unter anderem Gespräche mit Finanzminister Giovanni Tria führen. Entgegen allen Mahnungen aus Brüssel planen Lega und Fünf-Sterne-Bewegung eine deutlich höhere Neuverschuldung als von der Vorgängerregierung in Aussicht gestellt: Das Defizit soll 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen – bei einem Schuldenberg von über 130 Prozent des BIPs zu viel für die Budgethüter in Brüssel. Besonders das geringe Wirtschaftswachstum bereitet den EU-Partnern Sorge. Der deutsche Kommissar Günther Oettinger geht deshalb davon aus, dass seine Behörde Korrekturen des Entwurfs einfordern wird.

Brüssel schickt Brief nach Rom

Der Haushalt für 2019 verstoße besonders ernsthaft gegen die EU-Regeln, teilte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici der Regierung in Rom am Donnerstag per Brief mit. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, Brüssel sei in der Vergangenheit beschuldigt worden, zu nachgiebig gegenüber Haushaltsentwürfen aus Italien gewesen zu sein. Die Kommission habe tatsächlich in der Auslegung des Stabilitätspaktes "alle Möglichkeiten der Flexibilität" gezeigt. "Aber Italien ist das einzige Land, dass alle Möglichkeiten der Flexibilität ausgeschöpft hat", warnte er zugleich. Italiens Regierung hat nun Zeit bis zum 22. Oktober, um auf die Bedenken zu antworten. Ändert die Regierung in Rom ihren Ansatz nicht, könnte die Kommission den Entwurf am 29. Oktober zurückweisen, was für weitere Unruhe an den Finanzmärkten sorgen könnte. Es wäre das erste Mal, dass die Kommission diesen Weg geht, seitdem sie diese Befugnisse 2013 erhalten hat.

Doch besonders Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini legt es zunehmend auf eine Konfrontation mit Brüssel an. Über eine neue Eurobarometer-Umfrage zum Ansehen der Union in den einzelnen Mitgliedstaaten, bei der Italien die EU-weit negativsten Zustimmungswerte aufweist, zeigte er sich nicht überrascht. Der Anteil der EU-Skeptiker im Land werde weiter rapide ansteigen, sollte Brüssel den Haushaltsentwurf ablehnen, so Salvini.

Der 45-Jährige überlegt nun gar, bei der Europawahl um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu rittern. „Freunde aus verschiedenen Ländern haben mich gebeten“, als Spitzenkandidat einer populistischen Parteienallianz anzutreten, so Salvini. Für die AfD eine denkbare Variante – und auch EU-FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky betont im Gespräch mit der „Presse“, dass er Salvini als einen „der Schutzherren Europas“ für eine gute Besetzung halte, EU-skeptischen Parteien „ein Gesicht“ zu geben. Allerdings, so Vilimsky, nicht im Sinne eines klassischen Spitzenkandidaten, wie ihn Sozialdemokraten und EVP nominieren: Da diese nicht direkt wählbar sind, wäre der Vorgang demokratisch unsauber.

Vilimsky unterstützt Salvini

Um Chancen auf einen Sieg zu haben, müsste Salvini die drei rechtskonservativen Parteien im Europaparlament hinter sich vereinen. Diese kommen Umfragen (PollofPolls) zufolge auf 159 Mandate und liegen hinter der EVP (183 Mandate) und vor den Sozialdemokraten (136 Mandate). Sollten die drei Fraktionen Salvini unterstützen und gemeinsam stärkste Kraft im Europaparlament werden, könnte Salvini freilich den Anspruch auf den Kommissionspräsidenten erheben, so Vilimsky.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2018)

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