Dem türkischen Immobiliensektor geht die Luft aus

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Ein bizarres Bauprojekt nahe der türkischen Stadt Bolu ist Inbegriff der Krise der türkischen Baubranche. Ihr droht nach traumhaftem Wachstum ein herbes Erwachen.

Tief in der türkischen Provinz tut sich am Rande einer Landstraße ein Anblick auf, der wie ein Trugbild erscheint: Sauber aufgereiht stehen nebeneinander Hunderte identische Häuser mit grauen Dächern und spitzen Türmen - in ihrer Form irgendwo zwischen französischem Chateau und Märchenschloss aus Disneyland.

Doch die Geschichte des bizarren Bauprojekts bei Bolu ist alles andere als ein Märchen. Denn die Firma dahinter ist insolvent - ein weiterer Hinweis auf die wachsende Krise im türkischen Immobiliensektor.

Die Baubranche war über Jahre eine tragende Säule des türkischen Wirtschaftswunders, doch angesichts des Verfalls der Währung und des Anstiegs der Inflation droht der Branche die Luft auszugehen. Ökonomen warnen schon lange vor einer Blase, da das Angebot die Nachfrage übersteige. Nun, da die Wirtschaft am Rande der Rezession steht, droht Baufirmen, Investoren und Maklern nach Jahren des traumhaften Wachstums ein herbes Erwachen.

Halbfertige Bauprojekte im ganzen Land

Die Firma hinter dem Villenprojekt bei Bolu hat jedenfalls schon Gläubigerschutz anmelden müssen. Die Sarot Group sah sich zu dem Schritt gezwungen, nachdem einige ihrer Käufer aus den Golfstaaten den Kaufpreis nicht bezahlen konnten, wie Vizechef Mezher Yerdelen erklärt. Bisher seien 351 der 732 Villen verkauft, doch hätten einige der Verkäufe annulliert werden müssen. Nun liegt das 2014 begonnene 175-Millionen-Euro-Projekt vorerst auf Eis.

Wie der Sarot Group geht es Hunderten Firmen in der Türkei. Im ganzen Land finden sich halbfertige Bauprojekte, denen das Geld ausgegangen ist oder die nicht mehr lohnend scheinen. Lange war die Baubranche eine treibende Kraft des rasanten Wachstums, das die Türkei unter der Regierung von Recep Tayyip Erdogan seit 2003 erlebte. Im dritten Quartal 2018 brach die Branche jedoch um 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein.

"Drei von vier Firmen, die Gläubigerschutz beantragen, sind heute Baufirmen", sagt der Wirtschaftsprofessor Alper Duman von der Universität Izmir. "Ob wir es eine Baublase oder eine Wohnungsblase nennen - es gibt auf jeden Fall eine Blase in der Türkei." So seien von den 10,5 Millionen Wohnungen, die in der Türkei in den vergangenen 16 Jahren errichtet wurden, nur acht Millionen in Benutzung genommen worden.

"Hohes Risiko, dass Blase platzt"

"Es gibt ein hohes Risiko, dass diese Blase platzt", warnt Duman. Viele Projekte wurden mit Krediten in Euro oder Dollar finanziert, die zu günstigen Konditionen vergeben wurden. Doch seit dem Verfall der türkischen Lira sind diese Kredite schwierig zu bedienen. Laut Handelsministerin Ruhsar Pekcan beantragten bis Mitte Dezember 846 Firmen Gläubigerschutz, die Oppositionszeitung "Sözcü" ging im Oktober sogar von mehr als 3.000 aus.

Der Vorsitzende der türkischen Bauingenieurskammer, Cemal Gökce, erwartet weitere Insolvenzen im Bausektor. Es seien einfach viel zu viele Häuser in der Türkei gebaut worden, sagt er. Der Branchenexperte Kerim Alain Bertrand dagegen zeigt sich optimistischer und verweist auf die wachsende, junge Bevölkerung. "Der Bausektor ist die Lokomotive des Landes", sagt Bertrand. Die junge Bevölkerung werde ihn am Leben halten.

Die Märchenschlösschen in Bolu warten unterdessen weiter auf Käufer - der Preis liegt bei 350.000 bis 440.000 Euro. Die meisten der dreistöckigen Villen mit den spitzen Türmen sind fertig, doch bewohnt werden sie nicht. Zwar hofft Yerdelen, dass das in einer idyllischen Hügellandschaft gelegene Projekt im Oktober eingeweiht werden kann. Doch ein Urteil eines Insolvenzgerichts fiel enttäuschend für die Firma aus, und die Bauarbeiten stehen derzeit still.

(APA/AFP/Raziye Akkoc)

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