Wie in Österreich können auch in Deutschland Arbeitslosen die Bezüge gestrichen werden. Nun entscheiden die Verfassungsrichter in Karlsruhe: Verstoßen die Sanktionen gegen das Grundrecht auf ein Existenzminimum?
Die deutschen Verfassungsrichter beraten ab heute über ein Thema, das viele betrifft: Es geht darum, ob die Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger gegen das Grundgesetz verstoßen. Mit weniger Geld müssen die Bezieher des Arbeitslosengeldes unter anderem dann auskommen, wenn sie Termine versäumen oder eine zumutbaren Job nicht annehmen wollen. Im Extremfall können die Bezüge für drei Monate ganz gestrichen werden. Auch in Österreich gibt es ähnliche Regelungen.
Angestoßen haben die Verhandlungen in Deutschland die Richter im thürischen Gotha: Sie halten die Sanktionen für verfassungswidrig, weil sie die Garantie des Existenzminimums, die im Grundgesetz festgeschrieben ist, verletzen.
Die meisten Juristen sehen das anders: Wer also durch sein Verhalten selbst verhindert, dass er sein Existenzminimum zumindest irgendwann durch Arbeit verdient, kann sich nicht auf das Grundrecht berufen. Scharfe Kritik - auch von vielen Rechtsexperten - gibt es aber daran, dass für Unter-25-Jährige schärfere Sanktionen gelten. Der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, meint dazu: "Wenn jemand mit Anfang zwanzig bei der Jobsuche schludert, kann er sich im Handumdrehen in der Langzeitarbeitslosigkeit wiederfinden. Da dürfen wir nicht achselzuckend zuschauen."
Linke: "Sanktionen abschaffen!"
Mit dem Urteil wird erst in einigen Monaten gerechnet. Für Wirbel sorgte vorab die Kritik der Linksfraktion im Bundestag, die den neuen Vizegerichtspräsidenten Stephan Harbarth für befangen hält. Er habe als CDU-Abgeordneter Gesetze mitbeschlossen "die hier auf dem Prüfstand stehen".
Linke-Chefin Katja Kipping sagte der dpa: "Hartz IV ist das Schreckgespenst unseres Sozialstaates" - und fordert: "Sanktionen abschaffen!" Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer zeigte sich zwar offen für Änderungen des Systems, sagt aber: "Sanktionen sind und bleiben in den wenigen Fällen, die sie betreffen, ultima ratio – das letzte Mittel."
Einer der Gegner des jetzigen Systems ist auch Hans-Jürgen Urban von der IG Metall. "Es mangelt den Betroffenen in der Regel nicht an Arbeitsmotivation und auch nicht an der Bereitschaft, Zugeständnisse bei einer angebotenen Tätigkeit zu machen", so Urban. Der ganz überwiegende Teil der Sanktionen werde vielmehr aufgrund einfacher Regelverstöße verhängt – vor allem wegen Meldeversäumnissen.
Fast eine Million Sanktionen verhängt
Wie "Spiegel.de" berichtet, wurden im Jahr 2017 rund 420.000 Empfänger sanktioniert, das sind knapp zehn Prozent. Weil viele nicht nur einmal, sondern mehrmals sanktioniert wurden, summierte sich die Zahl der Sanktionen insgesamt auf etwa 950.000. Fast 80 Prozent der Sanktionen werden mittlerweile wegen sogenannter Meldeversäumnisse verhängt - also allein wegen verpasster Termine beim Jobcenter.
(sk)