Interview

Mahrer: „Steuern bis ins nächste Jahr stunden“

PG WIRTSCHAFTSKAMMER OeSTERREICH (WKOe): MAHRER
PG WIRTSCHAFTSKAMMER OeSTERREICH (WKOe): MAHRERAPA/ROLAND SCHLAGER
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Wirtschaftskammerpräsident Mahrer will unter allen Umständen selbst einen „Mini-Lockdown“ in Österreich vermeiden und Zukunftsmärkte im Kaukasus und in Afrika erschließen.

Die Presse: Sie sagen, Wirtschaft bedeutet, dass Geld im Umlauf ist. Wie kann man dafür sorgen, dass das Geld ausgegeben wird und nicht auf den Sparbüchern landet, weil die Menschen Zukunftsängste haben?
Harald Mahrer: Es ist logisch, dass in der Akutphase der Krise, also während des Lockdown, die Sparquote ansteigt. Das war überall so. Das ist ein Folgeeffekt, wenn Leute freigesetzt werden oder befürchten müssen, den Arbeitsplatz zu verlieren. Auch darf man nicht vergessen, dass es eine Zeit lang gar nicht möglich war, Geld auszugeben, weil die Geschäfte zu waren. Ende September wird man Genaueres dazu sagen können.

Jetzt haben fast alle Branchen wieder offen. Aber die Kaufzurückhaltung gibt es noch immer.
Man muss sich das über den Sommer ansehen. Dass der Konsum nicht sofort auf das Niveau vor der Krise zurückkommt, hat mehrere Gründe. Wir haben noch immer eine hohe Arbeitslosigkeit, vielen fehlt die Sicherheit – sowohl finanziell als auch gesundheitlich. Aber wir wissen aus einer aktuellen Umfrage: 73 Prozent der Bevölkerung sehen wieder mit Zuversicht in die Zukunft. Deshalb komme ich wieder zu meinem einfachen Modell: Je mehr ausgegeben wird, je besser die Stimmung ist, umso besser kommt der Wirtschaftskreislauf in Schwung.

Die Maßnahmen der Regierung bringen diesen Kreislauf wieder in Schwung?
Sie sind richtig, weil sie die Kaufkraft stärken. Sie zielen bewusst auf Personen mit niedrigem Einkommen ab und wirken dort überproportional. Das bestätigen auch alle Wirtschaftsforscher.

Es geht, wie Sie sagen, darum, die Stimmung zu heben. Ökonomen gehen aber auch davon aus, dass es im Herbst die erste große Welle an Insolvenzen geben wird und dass auch eine zweite Kündigungswelle droht. Das spricht nicht gerade für ein Stimmungshoch.
Wir müssen uns als Republik flexibel auf unterschiedliche Situationen einstellen. So wie wir uns auch darauf einstellen müssen, dass es hoffentlich nur punktuell wieder eine Virusverbreitung geben kann und wir diese schnell eindämmen müssen. Genauso müssen wir Branchen helfen, die besonders betroffen sind. Denen muss man durch den wirtschaftlichen Winter helfen.

Sie verhandeln gerade über eine Verlängerung der Kurzarbeit über den September hinaus. Steht auch eine Verlängerung der Steuerstundungen im Raum?
Es wäre durchaus angebracht, die gesamten Stundungen weiter aufrechtzuerhalten und so die Liquidität der Unternehmen zu gewährleisten. Und es gibt ja Bereiche, wie die Industrie, die werden erst ab Herbst betroffen sein.

Weil die Konzerne derzeit alte Aufträge noch abarbeiten, aber keine neuen mehr nachkommen.
Ja, aufgrund der mangelnden Nachfrage auf den internationalen Exportmärkten. Ich wäre also sehr dafür, den Betrieben diese Liquidität zu geben, solang es möglich ist.

Solang es möglich ist: Bedeutet das auch über das Jahr hinaus?
Ja, zumindest für besonders betroffene Branchen.

Es gibt punktuell auch wieder sogenannte Corona-Hotspots, zuletzt etwa in Salzburg. Können Sie sich in Österreich einen zweiten Lockdown vorstellen?
Wir müssen alles tun, um eine neuerliche Ausbreitung zu vermeiden. Das geht durch bestmögliche Prävention. Und wir müssen weiterhin intensiv kommunizieren, dass das Virus nicht weg ist. Natürlich müssen wir uns all die Reisewarnungen genau anschauen, damit Touristen das Virus nicht einschleppen. Österreich hat bewiesen, dass es gut aufgestellt ist und die Übertragungskette schnell unterbrochen wird. Es braucht also im Idealfall nur lokal Mini-Lockdowns.

Aber von Idealfall kann doch keine Rede sein, siehe Nordrhein-Westfalen. Werden wir die rasche Reisefreiheit womöglich noch teuer bezahlen?
Wir wollten schneller als andere Länder bei uns die Öffnungen, deshalb wird sich die heimische Wirtschaft auch schneller erholen als andere Volkswirtschaften. Auch die Buchungsanfragen in Österreich sind höher als in anderen Ländern. Gleichzeitig muss man vorsichtig sein, dass man sich das Virus nicht einschleppt. Das ist eine Güterabwägung. Da setze ich auf die Eigenverantwortung der Betriebe und Regionen.

Auch viele Exportmärkte brechen plötzlich weg. Muss sich die heimische Exportwirtschaft in manchen Bereichen neu aufstellen?
Jeder zweite Job in Österreich hängt bekanntlich am Export. Als Wirtschaftskammer werden wir trotz Krise intensiv in neue Exportmärkte investieren. Wir werden ab Herbst etwa das Gebiet Zentralkaukasus, ehemalige GUS-Republiken und den Hoffnungsmarkt Ost- und Westafrika mit den Unternehmen stark bearbeiten. Dort geht es überall um große Infrastrukturprojekte. Und wir werden mit unseren Betrieben um jeden Auftrag kämpfen. Wir werden in diesen Ländern auch neue Büros eröffnen. Wenn es in anderen Märkten eine Dämpfung gibt, muss man es partiell andernorts auffangen.

Afrika als neuer Hoffnungsmarkt, das wissen die Chinesen schon seit vielen Jahren.
Klar schlafen auch andere Länder nicht. Es wird einen zunehmenden Wettbewerb um diese neuen Exportmärkte geben.

Wird die Krise zu einer Re-Industrialisierung führen?
Ich sehe ein großes Potenzial für mehr made in Europe und natürlich auch mehr made in Austria. Wir erarbeiten gemeinsam mit den Bundesländern eigene Strategien. Aber diese Re-Industrialisierung muss nicht nur sogenannte kritische Infrastruktur betreffen – also den pharmazeutischen Bereich oder medizinische Güter. Natürlich muss die Politik auch Anreize schaffen. Etwa mehr Investitionen in Forschung und Qualifizierung. Und es braucht mehr Mobilität auf dem österreichischen Arbeitsmarkt, damit man die Fachkräfte auch dort hat, wo sie gebraucht werden.

Ist es nicht eher wahrscheinlich, dass mit dem Impfstoff auch die Re-Industrialisierungsfantasie ein Ende haben wird?
Das glaub ich nicht. An dem Green Deal der Europäischen Kommission führt ja kein Weg vorbei. Und Österreich ist auf diesem Gebiet viel besser aufgestellt als andere Länder. Wir tragen gemeinsam mit Dänemark am meisten zum nachhaltigen Wirtschaften bei. Stichwort: Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie, intelligente Abfallbewirtschaftung, Verpackungskonzepte, smarte Mobilität. Diese Bereiche kann man natürlich bei uns weiter ausbauen. Ich behaupte ja nicht, dass das für alle Industrien gilt. Aber Österreich hat in einigen Bereichen großes Potenzial. Mein Ansatz ist: sich nicht groß zu fürchten, sondern groß zu denken.

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