Wirtschaftsnobelpreis

Ein Nobelpreis gegen die Lernkrise

''Marie Curie kaufte mit ihrem Preisgeld einst ein Gramm Radium'', sagt Preisträgerin Esther Duflo. Sie wolle nun schauen, was in ihrem Fall das Gramm Radium sein könnte.
''Marie Curie kaufte mit ihrem Preisgeld einst ein Gramm Radium'', sagt Preisträgerin Esther Duflo. Sie wolle nun schauen, was in ihrem Fall das Gramm Radium sein könnte.(c) AFP (MIGUEL RIOPA)
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Mit ihrer Feldforschung in Afrika und Indien haben die Ökonomen Banerjee, Duflo und Kremer die Bildungschancen von Millionen Kindern verbessert.

Wien. „Die Bekämpfung von Armut ist trotz aller Erfolge nach wie vor eines der wichtigsten Themen unserer Zeit.“ Mit diesen Worten begründete Jakob Svensson, Ökonomieprofessor an der Universität Stockholm und Mitglied des Nobelpreiskomitees, am Montag die Entscheidung für den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis. Dieser geht an den Inder Abhijit Banerjee, die Französin Esther Duflo und den Amerikaner Michael Kremer für ihre „experimentelle Forschung in der Armutsbekämpfung“. Banerjee und Duflo sind am Massachusetts Institute of Technology tätig, Kremer an der ebenfalls in der Nähe von Boston beheimateten Eliteuni Harvard.

„700 Millionen Menschen leben nach wie vor weltweit in extremer Armut. Eines von drei Kindern ist unterernährt. Und in den betroffenen Ländern verlassen die meisten Kinder die Schulen, auch ohne eine Basisausbildung erhalten zu haben“, umreißt Svensson in der schwedischen Akademie der Wissenschaften den Hintergrund der Arbeit der drei Ökonomen. Diese würden mittels Feldexperimenten vor Ort herausfinden, was die Gründe für Missstände sind und wie diese am kosteneffizientesten bekämpft werden können.

Als konkretes Beispiel nennt der schwedische Nobelpreis-Juror, die sogenannte Lernkrise. So wurden in den vergangenen Jahrzehnten zwar Tausende Schulen in den Entwicklungsländern errichtet, dennoch blieben die Bildungserfolge hinter den Erwartungen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Einerseits fehlt es häufig an Lehrern, oder diese kommen einfach nicht regelmäßig zum Unterricht. Laut Untersuchungen der Weltbank ist das in Ländern wie Tansania, Uganda oder Mozambique in 30 bis 50 Prozent aller Schulen der Fall. Andererseits sorgen Probleme wie Hunger dafür, dass sich Kinder nicht konzentrieren und somit den Lernstoff aufnehmen können.

Lehrbücher allein helfen nicht

„Das Ergebnis der Forschung von Banerjee, Duflo und Kremer war, dass zusätzlicher Input wie beispielsweise mehr Lehrbücher ohne darüber hinausgehende Reformen keine besseren Erfolge bringen.“ Auf Basis ihrer Arbeiten wurde 2001 in Indien das Konzept „Teaching at the Right Level“ („Auf dem richtigen Niveau unterrichten“) eingeführt. Dabei werden die Schulkinder nicht mehr nach Alter in Klassen zusammengefasst, sondern je nach ihren Fähigkeiten. So soll sichergestellt werden, dass jeder, der die Schule verlässt, zumindest die Basiskenntnisse in Schreiben und Rechnen erlernt hat. „Heute werden bereits 60 Millionen Kinder in Indien und Afrika nach diesem Konzept unterrichtet“, so Svensson. Und Tests haben gezeigt, dass die Ergebnisse dadurch besser geworden sind.

„Es ist unser Ziel, den Kampf gegen Armut auf wissenschaftlich fundierte Beine zu stellen. Denn es gibt viel Hilfe für Arme, aber oft verstehen die Helfer selbst nicht, wo das Problem ist“, erklärte Duflo in einer Telefonschaltung. Sie sei überwältigt davon, den Preis erhalten zu haben, und war vor allem überrascht, „dass es möglich ist, ihn zu erhalten, bevor man alt ist“. Die Französin ist mit dem Geburtsjahrgang 1972 die jüngsten Preisträgerin in der Geschichte des Wirtschaftsnobelpreises.

Sie ist nach der Amerikanerin Elinor Ostrom auch erst die zweite Frau, die den Preis erhält. Das solle als Inspiration für andere Frauen dienen, so Duflo. Ein Umstand, dessen man sich bei der schwedischen Akademie der Wissenschaften sicherlich bewusst ist. Allerdings verwies deren Generalsekretär, Göran Hansson, in der Folge explizit darauf, dass sie den Preis nicht wegen ihres Geschlechts erhalten habe, sondern für ihre Forschung.

Duflo erklärte zudem, dass sie den Preis stellvertretend für die „Hunderten an Forschern“ entgegennimmt, die in einem Netzwerk zusammen an dem Thema arbeiten würden. Laut dem Nobelpreiskomitee geht der Preis an Kremer, weil er in den 1990er-Jahre mit den experimentellen Forschungen zum Thema Armut in Kenia begonnen hat und an Banerjee und Duflo, weil sie in der Folge die Arbeiten vertieft und verbreitert haben. Neben Bildung beschäftigen sich die Ökonomen beispielsweise auch mit dem Zusammenhang von Gesundheit und Armut oder dem Einfluss, den der Zugang zu Krediten hat.

Ein Gramm Radium

Auf die Frage, was sie mit dem Preisgeld machen werde, verwies Duflo auf die Physikerin Marie Curie, die 1903 den Nobelpreis für Physik (und 1911 jenen für Chemie) erhalten hat. „Sie kaufte sich von dem Geld damals ein Gramm Radium“, so Duflo. Diese Hingabe an ein Thema habe sie immer fasziniert. Daher wolle sie nun mit Banerjee und Kremer überlegen, was in ihrem Fall das Gramm Radium sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2019)

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