Flugsicherheit

Boeings stehendes Problem

Hunderte nagelneue 737 Max stehen auf US-Flughäfen in Warteposition. In Summe hat der Skandal Boeing bereits über acht Milliarden Dollar gekostet.
Hunderte nagelneue 737 Max stehen auf US-Flughäfen in Warteposition. In Summe hat der Skandal Boeing bereits über acht Milliarden Dollar gekostet.(c) REUTERS (Lindsey Wasson)
  • Drucken

Wegen zwei Abstürzen darf die Boeing 737 Max seit März nicht mehr fliegen. Nun wurde publik, dass man schon seit 2016 von Problemen wusste.

Bis zu 42 Maschinen des Typs 737 Max stellt Boeing jeden Monat her. Denn obwohl das Flugzeug seit Anfang März „gegroundet“ ist, weltweit also nicht mehr in die Luft steigen darf, laufen die Produktionslinien im Boeing-Werk in Everett nahe Seattle im US-Bundesstaat Washington weiter auf vollen Touren. Schließlich hat der amerikanische Flugzeughersteller nach wie vor mehr als 5000 Bestellungen in seinen Büchern, die abgearbeitet werden müssen. Boeing produziert zurzeit daher auf Halde. Allein am Regionalflughafen Moses Lake in Washington stehen mehr als 130 Maschinen des Typs in Warteposition. Aber weil der Platz inzwischen knapp wird, musste der Konzern inzwischen sogar dazu übergehen, Autoparkplätze auf Flugplätzen oder neben seinen eigenen Standorten für die Lagerung der Flugzeuge umzufunktionieren.

Für das Unternehmen kann es also nicht früh genug kommen, wenn das von den Regulatoren ausgesprochene Flugverbot wieder aufgehoben wird. Wann das geschehen wird, steht allerdings noch in den Sternen. So wurden entsprechende Termine seit dem Frühjahr bereits mehrmals verschoben. Anlass für das Flugverbot war der Absturz von zwei Maschinen des Typs 737 Max. Einmal im Oktober 2018 in Indonesien, einmal im März 2019 in Äthiopien. In Summe kamen dabei 346 Menschen ums Leben.


Softwarefehler. Schon bald nach den Unfällen war klar, dass das neu eingeführte System MCAS für die Abstürze verantwortlich war. Eigentlich sollte die Software eine Fehlkonstruktion der 737 Max beheben. Vereinfacht gesagt hat das Flugzeug zu große Triebwerke, die zu weit vorn sitzen. Das kann zu einem zu steilen Steigflug und in der Folge zu einem Absturz (Strömungsabriss) führen. MCAS soll in solchen Fällen den Steigflug automatisch beenden. Bei den beiden Abstürzen dürfte das System aufgrund fehlerhafter Daten jedoch die Nase der Flugzeuge zu stark nach unten gedrückt und somit den Absturz ausgelöst haben.

Laut Aussagen von Boeing ist das Problem durch eine Überarbeitung der Software und den Einbau weiterer Sensoren bereits gelöst. Innerhalb der vergangenen Monate wurden über 700 Testflüge von den firmeninternen Testpiloten absolviert. Allerdings geht es bei der Frage der Wiederzulassung auch um das angeknackste Vertrauen der Regulatoren in Boeing. Und das wurde am vergangenen Freitag erneut erschüttert.

Denn da wurde durch einen „New York Times“-Artikel publik, dass Boeing Abschriften interner Kommunikation an die US-Luftfahrtaufsichtsbehörde FAA übermittelte, aus denen hervorging, dass Testpiloten bei Boeing bereits im Jahr 2016 von Problemen mit MCAS gewusst hatten. Schon im Mai gestand Boeing erst nach Medienberichten ein, dass sich Techniker schon 2017 kritisch über das System geäußert hatten. Hinzukommt, dass der Konzern die nun veröffentlichten Transkripte schon seit mehreren Monaten besessen und auch an die US-Justiz weitergeleitet, aber erst jetzt an die FAA übermittelt hat.

Regulator wütend. Von der FAA erfolgte daher noch am Freitagabend ein geharnischter Brief an Boeing, in dem diese eine „sofortige Erklärung“ verlangte. Schließlich sind die Aussagen des ehemaligen Cheftestpiloten Mark Forkner in den Abschriften ziemlich eindeutig. So meinte er gegenüber einem Kollegen, dass MCAS bei Simulatortests „verrückt gespielt“ habe. An anderer Stelle schreibt er: „Ich hab eigentlich gegenüber den Regulatoren gelogen (unwissentlich).“

Für Boeing-Chef Dennis Muilenburg, der kommenden Mittwoch Quartalszahlen präsentieren und am 30. Oktober erstmals vor einem Ausschuss des US-Kongresses aussagen soll, wird die Luft zunehmend dünner. Laut dem Ausschussvorsitzenden, Peter DeFazio, handelt es sich bei den nun vorgelegten Transkripten um eine „Smoking Gun“, die beweise, dass es bei dem Skandal nicht nur um die Fehler Einzelner, sondern um ein Systemversagen innerhalb des Konzerns gehe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.