Keine Ruhe vor dem Sturm

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Die Digitalisierung zwingt Unternehmen zur Anpassung und die Zeit drängt – auch wenn die Auftragsbücher jetzt noch voll sind.

Jahrhundertphänomene wie die Digitalisierung kommen nicht über Nacht. Sie kommen in Schüben, vielenorts auch in kleinen Schritten. Und nicht in allen Bereichen im selben Tempo. Während sich der Buchhandel seit mehr als zehn Jahren mit der disruptiven Kraft der Digitalisierung auseinandersetzen muss, wurden in anderen Sektoren die Beine noch hochgelegt. Doch die Zeit drängt. Weil sich die Notwendigkeit der Anpassung als Erstes in einzelnen Branchen zeige, bevor diese gesamtwirtschaftlich durchschlage, werde der Anpassungsbedarf oft unterschätzt, schreiben die Unternehmensberater von Roland Berger in der aktuellen Studie „Sturmtief voraus? Wo Unternehmen trotz guter Konjunktur mit sektoralen Krisen rechnen müssen“. Dahinter steht die Analyse von sechs Branchen und wie sich diese im Wandel befinden – nämlich die Automobilindustrie, die Energiewirtschaft, Maschinenbau, Banken, Konsumgüter und Handel sowie das Gesundheitswesen. Fazit der Studien-Autoren: Das derzeitige gute konjunkturelle Umfeld dürfe nicht über Herausforderungen hinwegtäuschen. Denn: „Nach der Erfahrung unserer Experten verführen gut laufende Geschäfte sogar dazu, träge und unaufmerksam zu werden.“

Weißbuch digitale Plattformen: Plattformunternehmen nach Regionen

Branchenspezifischer Strukturwandel, technologischer Fortschritt und der globale Wettbewerb – das sind laut Roland Berger die wesentlichen Aspekte, die den Anpassungsbedarf verschärfen. So befindet sich der Automobilsektor „im Strudel des Jahrhundertwandels“. Zum einen wird der Verbrennungsmotor vom elektrischen Antrieb herausgefordert – allein auf deutschen Straßen sollen bis 2020 eine Million E-Autos fahren. Zum anderen müssen sich die traditionellen Autohersteller mit bahnbrechenden Konzepten aus dem Silicon Valley auseinandersetzen: Allen voran mit dem automatischen Fahren. Sollte sich diese Technologie durchsetzen, würde die Software dem Motor den Rang als Herz des Automobils ablaufen. Und große Marken müssen sich vorsehen, gegenüber Google & Co. die technische Oberhand zu behalten.

Neues Ökosystem in der Autobranche

Branchenfremde Digitalkonzerne versuchten, ein neues Ökosystem aus batteriebetriebenen, autonom fahrenden Fahrzeugen und Big Data zu etablieren, heißt es derweil im Weißbuch Digitale Plattformen, das die deutsche Bundesregierung herausgegeben hat. Wenn die deutschen und europäischen Autobauer es nicht schafften, bessere und hochwertigere Lösungen zu präsentieren, liefen diese Gefahr, in einem „wachsenden Markt vernetzter Mobilität als reine Fahrzeugzulieferer in die zweite Reihe gedrängt zu werden“. Das gilt auch für Österreich, wo die Automotive Zulieferindustrie rund 200.000 Arbeitsplätze sichert.

Marktvolumen von 1,9 Billionen Eur

Nicht nur die Autobauer müssen sich verändern. Die Digitalisierung muss auch im Maschinen- und Anlagenbau ganz oben auf der Agenda ankommen. Der aktuelle Umbruch geht weit darüber hinaus, lediglich eine weitere Automatisierung der Abläufe in den Werkshallen zu ermöglichen. In der „smart factory“ übernehmen die Maschinen die Kommunikation untereinander – Ziel ist die Losgröße 1. Das Marktvolumen des Internets der Dinge wird beispielsweise für das Jahr 2020 auf rund 1,9 Billionen Euro geschätzt. Die Experten von Roland Berger empfehlen deshalb die Einführung einer CDO-Position, eines Chief-Digital-Officers, der die digitale Strategie umsetzt. Und: Die Meister der Ingenieurskunst müssen in fachfremden Bereichen Kompetenzen aufbauen: Sie müssen beginnen, Daten zu sammeln. Daran kommen auch die Tüftler heute nicht mehr vorbei.

Drei Kernkompetenzen für Banken

Für den Bankensektor sind die neuen digitalen Markteilnehmer, die FinTechs, längst alltägliche Konkurrenz. Wer sich heute noch durchsetzen will, muss sich spezialisieren. Banken müssten Schwerpunkte setzen und daraus Mehrwert schöpfen, anstatt alle Kategorien durchschnittlich zu bedienen. Drei Kernkompetenzen macht Roland Berger für Bankinstitute aus: Die Kundenbeziehung, die Produktbereitstellung oder die Rolle des Technologieführers. Kundenbeziehungsexperten würden Geld vor allem über die Beratung verdienen, Produktexperten über Zinserlöse und Technologieführer könnten auf Lizenzgebühren und Provisionen setzen.

Nachhaltige Antwort des Handels

Plattformen wie Amazon haben indes den Handel für immer verändert – auf Vertriebs- und auf Kundenseite. Konsumenten sind heute kaum mehr bereit, ins stationäre Geschäft zu gehen, wenn sie dort keinen Mehrwert im Vergleich zum Online-Kauf erleben. „Der Handel war immer von massiven Veränderungen betroffen, das Kaufhaus hat die inhabergeführten Geschäfte ‚kannibalisiert‘, die Discounter den kleinteiligen Lebensmittelhandel, die Shopping City teils die Innenstädte. Doch die Veränderungen spielten sich immer im Raum ab. Beim E-Commerce ist das nicht mehr so. Das ist der Quantensprung“, sagt Ricarda Pätzold, Handelsexpertin vom Deutschen Institut für Urbanistik. 2,3 Billionen US-Dollar Umsatz soll der E-Commerce bis 2020 laut Schätzungen generieren. Auf die digitale Konkurrenz mit Sparprogrammen zu reagieren, das kauft den Unternehmen indes nur Zeit, eine nachhaltige Antwort darauf muss anders aussehen: In der nahtlosen Verzahnung von stationärem Verkaufslokal und Online-Auftritt, durch kompetente Beratung und durch die Personalisierung der Kundenansprache, sprich der Werbung. Dafür sind dann wiederum die Daten wichtig – der Stoff, ohne den nichts mehr geht.

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