Kettenreaktion im Touristen-Block

  • Drucken

Blockchains sind auch im Tourismus ante portas. Welche Möglichkeiten die neue Technologie bietet, wird unter Experten intensiv diskutiert. Eine Revolution mit Ansage.

Online-Hotelreservierungsportalen, die von Mittlerprovisionen leben, droht ein abrupter Machtverlust – zumindest wenn es nach dem Startup-Gründer Maksim Izmaylov geht. In Aussicht stellt der Entrepreneur mit Bildungshintergrund im Software Engineering nichts weniger als eine Revolution der kompletten Reise- und Touristikbranche. Das Zauberwort dazu heißt Blockchain, die Folgen sollen disruptiver Natur für das bestehende System sein. Izmaylovs Schweizer Startup Winding Tree arbeitet an einem dezentralisierten B2B-Marktplatzsystem zur Reorganisation des Reisevertriebs. Möglich werden damit Reisebuchungen, die keinen Umweg über zentrale Plattformen gehen. Die Kunden können direkt auf die Angebote von Reisedienstleistern zugreifen, Zwischenhändler wie Online Travel Agencies (OTAs) fallen weg.

„Winding Tree basiert auf der Plattform der Kryptowährung Ethereum. Wir verbinden Käufer und Verkäufer, sprich Gäste und Hotels, über eine Reihe von Smart Contracts. Das sind maschinenlesbare und kodifizierte Verträge, die – kurz gefasst - unabhängig von aufwändigen dritten Parteien wie etwa Notaren geschlossen werden und trotzdem Rechtssicherheit gewährleisten. Transaktionsgebühr werden dabei nicht fällig“, erklärt Izmaylov. Winding Tree sei eine Non-Profit-Organisation. Finanziert werde sie von tausenden Mitwirkenden, die am ICO (Initial Coin Offering) teilgenommen haben. „Wir werden niemals Provisionen von den Markteilnehmern berechnen“, versichert Izmaylov. Allerdings fallen Mining-Fees an, worunter Netzwerkgebühren bei Blockchains verstanden werden, die erforderlich sind, um mit der Blockchain interagieren zu können. Laut Izmaylov sollen die Kosten für die Nutzer wesentlich geringer sein als im jetzigen System.

Neue Apps für Reisende
Vom neuen System zeigt sich nicht nur der deutsche Hotelverband IHA angetan – Markus Luthe, IHA-Hauptgeschäftsführer: „Mir scheint die Blockchain-Technologie dem Hotelvertrieb eine lohnenswerte Perspektive zu bieten“ -, auch andere Spieler der Branche sind auf den digitalen Zug aufgesprungen. So kooperiert etwa Lufthansa bereits seit letztem Jahr mit Winding Tree, um die Blockchain-Technologie in die Reisebranche zu bringen. Vom digitalen B2B-Marktplatz erhofft sich der Konzern  neue Angebote präsentieren zu können, die spezifischer denn je auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind. „Wir ermöglichen unseren Partnern, die innovative Reiseanwendungen entwickeln, über einen dezentralen Marktplatz auf diese Angebote direkt zuzugreifen“, heißt es in einer Presseaussendung der Lufthansa Group Airlines. Daraus sollen sich zudem zahlreiche neue Apps für Reisende ergeben, die Flüge der Lufthansa Group über das Angebot buchen können, das ihren Wünschen am besten entspricht.

Schneller, effizienter, sicherer?
Auch das weltweit größte Tourismusunternehmen TUI (zum Reiseveranstalter gehören unter anderem mehr als 1.600 Reisebüros, 380 Hotels und sechs Fluggesellschaften) setzt künftig verstärkt auf Blockchain. Seit 2017 wird mit dem hauseigenen IT-Dienstleister Cocus am Ziel gearbeitet, eine 100-prozentige Auslastung von Hotelbetten zu ermöglichen und die länderübergreifenden Transaktionsprozesse zu vereinfachen. Ermöglichen soll es die sogenannte BedSwap-Lösung, eine Blockchain-Technologie, die transparente, automatisierte und sichere Prozesse ohne Zwischeninstanzen erlaubt. Wie bislang wird sich jede TUI-Ländergesellschaft vorab eigene Hotelkontingente sichern. Ist die Nachfrage auf einem Markt kleiner als erwartet, sollen die Kontingente künftig aber schneller und vor allem direkt zwischen den Märkten gehandelt werden – ein Testlauf auf Hotelebene. Treten die erhofften Einsparungen in Millionenhöhe ein, könnte es zur Ausweitung des Modells kommen. Geplant ist bei TUI die Auslagerung einzelner Initiativen in einen eigenen konzerninternen Blockchain-Entwicklungsbereich.  

Grenzenlose Fantasie der Touristiker
Welch bahnbrechende Möglichkeiten Blockchains im Tourismus künftig bieten könnten, wird unter Experten derzeit intensiv diskutiert, auch in Österreich, wie etwa Ende 2017 anlässlich des 10. touristischen Castlecamps auf der Burg Kaprun in Salzburg. Der Fantasie der E-Touristiker waren dabei kaum Grenzen gesetzt: Gepäck zielgenau und in Echtzeit rund um die Welt verfolgen, die Authentizität von Bewertungen feststellen,  Kreditkartenbetrug verhindern,  die Einhaltung von Reiserichtlinien überprüfen, touristische Loyalitätsprogramme durchsetzen, Rückerstattungen für Flugverspätungen und -ausfälle automatisch abwickeln, Verträge zwischen Kunden und Dienstleister smarter und kreativer gestalten – das alles und viel mehr, so die Experten, soll mit Blockchains schneller, effizienter und sicherer möglich werden.

Angriff als beste Verteidigung.
Für den Blockchain-Protagonisten Izmaylov von Winding Tree steht aber vor allem eines im Fokus: „Kernaussage der Blockchain ist es, Zwischenhändler abzuschaffen.“ Der direkte Draht zum Kunden mache Mittelsmänner überflüssig. Letztere reagieren auf das düster gemalte Bild denkbar gelassen - oder besser gesagt proaktiv. „Wir testen seit Juni in Peking und Shanghai ein eindeutiges Identifizierungssystem, basierend auf der Blockchain“, erzählt Martin Biermann, seineszeichens Vice President Product bei der HRS Group, einer der großen Intermediäre im Tourismus, im deutschsprachigen Raum vor allem als Anbieter einer Website für die Buchung von Hotelzimmern bekannt. In der HRS Corporate Hospitality Blockchain werden die Buchung, der gebuchte Reisende und etliche weitere Daten untrennbar miteinander verknüpft. Das Hotel erhält einen E-Mail-Link zur Einsicht der Daten, der Reisende bestätigt seine Identität über eine nur ihm bekannte PIN. Die Überprüfung von Ausweisen, Visitenkarten oder anderen Legitimationen entfällt. Auch bei den Zwischenhändlern hat man die Zeichen der Zeit erkannt – und setzt auf Angriff als beste Verteidigung.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.