"Ständestaat": Ein Experiment, das spektakulär scheiterte

Kurt Schuschnigg, katholisch, diktatorisch, amerikanisch.
Kurt Schuschnigg, katholisch, diktatorisch, amerikanisch.(c) ORF (�sterreichische Nationalbiblioth)
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Den „Ständestaat“ sollte man besser „Dollfuß-Schuschnigg-Regime“ bezeichnen, heißt es in einem neuen Buch.

Die Frage, wie man die Regierungsform der Dreißigerjahre in Österreich korrekt bezeichnen soll, beschäftigt schon seit Jahrzehnten die Zeitgeschichtler. Je nach ideologischer Ausrichtung nennt man sie also „Austrofaschismus“ oder „Ständestaat“, „Kanzlerdiktatur“ oder „Regierungsdiktatur“. Der Autor Bertrand Michael Buchmann, ein ausgewiesener Historiker, ist mit all diesen Begriffsbestimmungen nicht restlos zufrieden, er empfiehlt stattdessen „Dollfuß-Schuschnigg-Regime“. Das mag zwar unanfechtbar sein, wird freilich jüngeren Generationen kaum näherzubringen sein. Dazu sind die Namen schon zu fern.

Vier Jahre reichten nicht

Wie auch immer, Buchmann zeichnet nach, was inzwischen – es gibt ja Laufkilometer an wissenschaftlicher Lektüre – unstrittiges Allgemeingut geworden ist: Dass nämlich die berufsständische Verfassung vom 1. Mai 1934 nie vollständig umgesetzt wurde, dass also von einem „Ständestaat“ gar keine Rede sein konnte. Das Experiment einer völlig neuen Gesellschaftsform – antimarxistisch, antidemokratisch und antikapitalistisch – war in den vier Jahren, die bis zum Anschluss an Hitler-Deutschland blieben, natürlich nur in Ansätzen verwirklichbar. Was über das Jahr 1938 hinaus davon blieb, war der Anspruch, den Dollfuß am 11. September 1933 bei der Großkundgebung auf dem Wiener Trabrennplatz formulierte: „Wir sind deutsch, so selbstverständlich deutsch, dass es uns überflüssig vorkommt, das eigens zu betonen. Dass unsere Alpen- und Donauländer seit mehr als einem Jahrtausend von guten Deutschen bewohnt werden, das ist doch nicht bestritten, und dass wir diesem deutschen Volke ehrlich und treu dienen, das können wir erklären . . .“ Mehr noch: Das wahre, das bessere Deutschtum sei hierzulande verkörpert, überhöht durch eine historische Sendung in Form des betont katholischen Christentums.

Eine plötzliche Kehrtwende

Der Versuch, mithilfe einer Einheitspartei die ideologischen Gegensätze zu mildern und dadurch eine geschlossene Abwehrfront gegen NS-Deutschland zu bilden, musste in seinen Ansätzen stecken bleiben. Diese „Vaterländische Front“ sollte alle Bürger vereinen. Aber zu einer plötzlichen Kehrtwende, also zu einem speziellen Österreich-Patriotismus, dazu waren die wenigsten bereit. Diese Kurve wurde zu rasch genommen. So beugte man sich der Staatsdoktrin ohne innere Anteilnahme. Eine Anekdote: Der Führer der Vaterländischen Front fragt in einer Gemeinde nach der Gesinnung der Bürger. Die Antwort: „Die Hälfte ist braun, die andere Hälfte rot.“ – Und wer ist denn dann um Himmels willen in der Vaterländischen Front? – „In der samma alle.“ Das Unterfangen, auf diese Weise der hitlerschen Bedrohung zu entgehen, es musste spektakulär scheitern.

Buchmann geht distanziert an die Schilderung der Ereignisse bis 1938 heran. Ja, es seien schwere Fehler von allen Seiten begangen worden, schreibt er. Ein Befund, der von linken Ideologen umso heftiger infrage gestellt wird, je weiter die Zeit zurückliegt. Aber, so der Autor, „wir wollen keineswegs über die handelnden Personen richten“. So könnte das Werk allen drei politischen Lagern als Handlungsanleitung dienen, es diesmal besser zu machen. Der gelernte Österreicher wird dem skeptisch begegnen.

Zum Buch:

Bertrand Michael Buchmann

„Insel der Unseligen.
Das autoritäre Österreich 1933–1938“

Molden, 256 Seiten, 26 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2019)

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