Sie alle kamen aus dem Ausland nach Wien

 Dietmar Grieser: „Wien − Wahlheimat der Genies“,  Amalthea-Verlag, 269 Seiten, 25 Euro
Dietmar Grieser: „Wien − Wahlheimat der Genies“, Amalthea-Verlag, 269 Seiten, 25 Euro(c) Amalthea-Verlag
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Literatur-Detektiv Dietmar Grieser über dreißig Wahl-Österreicher.

Theophil Hansen und Prinz Eugen; Clemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich und Mitsuko Aoyama; Beethoven und Salieri; Michiko Tanaka und Raoul Aslan: Sie alle und noch viele andere kamen als Ausländer nach Wien, verfielen dem Zauber der Stadt – und blieben. Heute hat sie das historische Gedächtnis längst als Ur-Wiener eingemeindet. Denken wir an Henriette von Nassau-Weilburg, an Hildegard Burjan, Ottilie von Goethe etwa, oder an Gerard van Swieten und Theodor Billroth. Olive Moorefield gehört hier ebenso genannt wie Horst Winter oder Hilde Wagener, Rosa Albach-Retty und Adele Sandrock.

Dietmar Grieser hat – pünktlich wie jedes Jahr – in bezaubernder Art und Weise die Lebensgeschichten von Promis dargestellt, die allesamt hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben. Grieser selbst ist ja auch so einer: Nach dem Studium aus der Gegend um Hannover 1957 nach Wien gezogen, hier geblieben bis dato, hat er in stupender Manier seit 1973 einen Best- oder Longseller nach dem anderen geboren.

Julius Meinls Japanerin

Stichwort Michiko Tanaka (1909−1988). Sie entstammte einem japanischen Samurai-Geschlecht, war als höhere Tochter ausgebildet worden, studierte in Wien Musik − und der um vierzig Jahre ältere Großkaufmann Julius Meinl verliebte sich in sie.

Er ist 62 und im Feinkostgeschäft der Marktführer in Österreich. In seiner Villa verkehren die oberen Hundert von Wien – mit Michiko Tanaka-Meinl ab 1931 als strahlendem Mittelpunkt. Annäherungsversuche des Schriftstellers Carl Zuckmayer weiß Meinl zu unterbinden, doch er ahnt natürlich, dass sein Glück nicht lang dauern kann. Wenn, dann will er die junge Ehefrau nur an einen wirklich Würdigen „abgeben“. Der lässt nicht lang auf sich warten, heißt Victor de Kowa, ein blendend aussehender Filmschauspieler. Und Meinl – er ist inzwischen 71 – gibt Michiko frei. Mehr noch: Er fungiert als Trauzeuge in Berlin. Die Ehe wird glücklich und hält bis zu de Kowas Tod 1973.

Pantomime ist sein Leben

Samy Molcho, der berühmte Pantomime, ist so alt wie unser Autor. Vor fast sechzig Jahren hat der in Tel Aviv Geborene in Wien Fuß gefasst. Wien ist stolz auf diesen Neubürger. Und auf die Ehefrau und auf die vier tüchtigen Söhne. Dreieinhalb Jahre lang diente Molcho in der israelischen Armee, sein Talent brach sich bald Bahn, mit seinen Pantomimen entfachte er Begeisterungsstürme in ganz Europa. Noch heute lebt er mehr in fremden Hotelzimmern als im Wiener Heim. Viel hat er nicht von seiner Frau Haya. Das Energiebündel dirigiert ein Gastro-Imperium.

Freilich: Die „Facts“ kann man heute bequem aus dem Internet abrufen. Aber die elegante Schilderung der handelnden Personen bietet nur der längst eingewienerte Dietmar Grieser. Man hört ihn geradezu plaudern und freut sich auf eine seiner vielen Lesungen, die ihn durch Österreich und Deutschland führen. Sein Stammpublikum weiß, was es an ihm hat. Den Jüngeren kann er Spannendes und Lehrreiches anbieten. In einem unverwechselbaren Stil, den der literarische Detektiv nun schon so viele Jahre – und genauso viele Bücher – durchhält.

Buchpräsentation: 25. Juni um 18 Uhr im Festsaal des Akademischen Gymnasiums; weitere Lesung: 27. Juni um 19 Uhr, Thalia W3, Landstraßer Hauptstr. 2a

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2019)

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