Forschung

Barbara Stelzl-Marx: Vergessene Geschichte wird wieder lebendig

(c) Furgler
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Zeitgeschichte. Barbara Stelzl-Marx leitet das Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung und bringt Themen in die Öffentlichkeit, die zuvor noch tabu waren.

Als Barbara Stelzl-Marx 2012 die erste internationale Konferenz zum Thema „Besatzungskinder in Österreich und Deutschland“ organisierte, bemerkte sie, wie ihre Forschung das persönliche Leben vieler Menschen verändert. Erst durch das Interesse der Wissenschaft – und daraufhin der Medien – an den heute erwachsenen, großteils schon pensionierten Kindern von Besatzungssoldaten kam es zu einer Enttabuisierung. „Viele Betroffene erkannten durch unsere Arbeit, dass sie nicht das einzige Besatzungskind sind“, erzählt Stelzl-Marx, die das Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Kriegsfolgenforschung leitet und an der Uni Graz Professorin für Zeitgeschichte ist.

Immerhin sind in Österreich schätzungsweise 30.000 Kinder von Besatzern zur Welt gekommen. Die Menschen konnten einander kennenlernen, woraus Freundschaften und Netzwerke entstanden, die bis heute halten. Stelzl-Marx leitete daraufhin für drei Jahre das EU-Projekt „Kinder des Kriegs im 20. Jahrhundert“: Darin rückten neben dem Aspekt der Besatzungskinder auch Wehrmachtskinder und Kinder, die im Bosnien-Krieg nach Vergewaltigungen zur Welt gekommen waren, in den Fokus.

Tabuthemen ansprechen

Zu diesen früheren Tabuthemen kam Stelzl-Marx, die an der Uni Graz Geschichte, Russisch und Anglistik studiert und in Russland, England und den USA geforscht hat, über Studien zum Leben der Roten Armee in Österreich von 1945 bis 1955. „Als das LBI für Kriegsfolgenforschung in Graz gegründet wurde, war ich schon als Studentin dort engagiert und habe ab 1993 auch Zugang zu Archiven in Russland erhalten“, erzählt sie.

Anfangs konzentrierte sie sich auf die Geschichten der Kriegsgefangenen in Russland, dann auf die in Österreich gefangenen Sowjets. Ihre Dissertation über das Kriegsgefangenenlager Stalag XVII B in Krems-Gneixendorf schloss eine große Forschungslücke und die Habilitation „Stalins Soldaten in Österreich“ wurde im Jahr 2012 preisgekrönt. „Mir war der Perspektivenwechsel wichtig: Also erstmals zu zeigen, was es für einen Rotarmisten oder eine Rotarmistin bedeutet hat, nach Österreich zu kommen.“

Aus Interviews, Briefen und Archiven in Moskau zeichnete Stelzl-Marx das Alltagsleben der sowjetischen Soldaten hier nach. Als im Jahr 2011 in Graz das neue Murkraftwerk in Planung ging, wurden plötzlich frühere Studien von Stelzl-Marx hochaktuell, denn sie war schon in den 1990ern auf das Zwangsarbeiterlager Liebenau gestoßen – einer Zwischenstation auf den Todesmärschen ungarischer Juden ins KZ Mauthausen: „Dass der Holocaust direkt vor unserer Haustür, fast im Zentrum von Graz, stattgefunden hat, war davor kaum bekannt. Heute ist das Lager Liebenau Teil des kollektiven Gedächtnisses.“ Die Ausstellung über diesen „Ort der verdichteten Geschichte“, die Stelzl-Marx kuratiert hat, lief bis April 2019 im Graz-Museum.

Ihren Ausgleich abseits der Arbeit findet die Mutter eines sechsjährigen Sohnes im Zusammenhalt von Familie und Freunden. „Und ich bin gern in der Natur, wir gehen Rad fahren, schwimmen, wandern und Schwammerln suchen.“

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