Humanitäres Engagement

Christine Bodendorfer: Pionierinnen gegen sexuelle Gewalt

(c) Mädchenberatung
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Humanitäres Engagement. Der Verein Mädchenberatung betreut Frauen, die sexuell missbraucht wurden, und bietet ihnen bei Bedarf auch Begleitung in Gerichtsprozessen an.

Es ist nicht lang her, da gab es in Wien keine einzige spezifische Stelle, an die sich Mädchen und junge Frauen, die sexueller Gewalt ausgesetzt waren, wenden konnten. „Es gab damals kein Fachwissen, keine Beratungsstelle“, erzählt Christine Bodendorfer. Sie, Psychotherapeutin und Sozialarbeiterin, war damals Mitte 20, Studentin an der Akademie für soziale Arbeit – und die Situation, dass es keinerlei Hilfe für Betroffene sexueller Gewalt gab, hat sie entsetzt.

Also haben Bodendorfer und mehrere Studienkolleginnen eine Beratungsstelle konzipiert, 1989 fand eine erste Tagung zum Thema Gewalt und Missbrauch statt, parallel dazu haben die Studentinnen einen Verein gegründet, 1990 wurde die Beratungsstelle eröffnet.

Heute hat sich die Mädchenberatung als Anlaufstelle für Mädchen und junge Frauen, die von Missbrauch, sexueller Gewalt und Vergewaltigung betroffen sind, etabliert. Die Pionierinnen von damals sind geblieben – und feiern heuer das 30-jährige Bestehen. Seit der Gründung konnten rund 13.500 Klientinnen betreut werden. Die Fälle, die Manipulation, der Machtmissbrauch, die Strukturen, in denen sexuelle Gewalt vorkommt, würden sich dabei heute kaum von denen von vor 30 Jahren unterscheiden. „Es ist vielleicht das Internet dazugekommen, das eine Angriffsfläche bietet.“

Tabuthema Missbrauch

Im gesellschaftlichen Umgang habe sich dafür einiges verbessert, wie Bodendorfer sagt – auch wenn sie in den vergangenen Jahren eher einen Rückschritt beobachtet. Vor Gericht geht man mit Betroffenen heute sensibler um. Auch wurde das Thema Missbrauch enttabuisiert – zumindest ein Stück. „Es gibt nach wie vor wenig Fachwissen über Täter, über Manipulation, das Thema kommt in Ausbildungen nicht vor, auch die mediale Berichterstattung ist zum Teil katastrophal“, sagt Bodendorfer. Und vor allem das Thema Missbrauch in der Familie, der Gedanke, das könnte im eigenen Umfeld stattfinden, sei extrem tabuisiert.

Entsprechend hoch sind die Dunkelziffern, Bodendorfer zitiert Studien, wonach jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder siebte bis achte Bub sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Vergleicht man das mit den Zahlen von Anzeigen oder Verurteilungen, „haben wir hier das perfekte Verbrechen“.

Dem stehen große Erfolge in den Therapien und Beratungen gegenüber. Wenn Mädchen wieder lachen können, wieder Lebensfreude zeigen. „Ein Missbrauch ist eine traumatische Erfahrung. Man kann das mit einer offenen Verletzung vergleichen. Auch, wenn einem in der Familie nur eine Bezugsperson bleibt, etwa die Mutter, kann sich, auch mithilfe von Therapie und Beratung, so eine Wunde schließen. Auch wenn eine Narbe bleibt.“

Da zu unterstützen, daran arbeiten Bodendorfer und ihre drei Kolleginnen seit 30 Jahren. Sie bieten in der Beratungsstelle in der Ziegelofengasse im fünften Bezirk Beratung, Prozessbegleitung, Krisenintervention, Therapien für minderjährige Mädchen, Supervision für Helfer. Und sie stoßen mitunter an Grenzen: Die Kapazitäten sind oft ausgelastet, Finanzierung einer fünften Sozialarbeiterstelle wäre dringend nötig.

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