Die Freiheit, Teller zu waschen

Warum es sich lohnt, als sozialer Ökonom tätig zu sein, auch wenn es sich nicht immer auszahlt. Anmerkungen zu Smith, Friedman, Hayek und die wechselvolle Geschichte ökonomischer Theorien.

Keine andere Wissenschaft beeinflusst mit ihren Theorien die Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht in der Gesellschaft so stark wie die Ökonomie. Entsprechend der unterschiedlichen Interessenslage ist die Nachfrage nach ökonomischen Theorien heterogen: Gewerkschaften bevorzugen Theorien, welche einen wirtschafts- und sozialpolitisch aktiven Staat legitimieren (keynesianische Theorien). Dies nützt den Arbeitnehmern und stärkt den eigenen Einfluss, insbesondere in den Institutionen des Sozialstaats. Große Konzerne und reiche Privatiers präferieren Theorien, welche die Freiheit der (Finanz-)Märkte und damit ihrer Aktivitäten ins Zentrum stellen, nur sicherheitspolitisch soll der Staat ein starker sein, Gewerkschaften sind entbehrlich ("Laissez-faire-Theorien"). Kleinere Unternehmen und Landwirte hätten gerne "Mischtheorien" (wie die "soziale Marktwirtschaft"): Einerseits sind sozial abgesicherte und gut ausgebildete Arbeitskräfte produktiver, andererseits möchte man nicht zu hohe Sozialkosten (mit-)tragen. Auch sollte die Marktkonkurrenz nicht zu weit gehen.

Da auf Märkten die "Geldstimmen" zählen (Schumpeter), ist die Nachfrage nach "Laissez-faire-Theorien" in "Normalzeiten" am größten (wenn keine schweren Probleme zu bewältigen sind). Dies drückt sich etwa am Einfluss der großen "Thinktanks" zur Verbreitung des neoliberalen Gesellschaftsmodells aus: Die "Heritage Foundation", das Cato-Institut in den USA, das "Adam Smith Institute" in England oder die Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft" in Deutschland werden von Großkonzernen und sehr vermögenden Privatiers finanziert und können eine entsprechend lebhafte Theorienachfrage entfalten. Auch Forschungsstiftungen von Konzernen wie Bertelsmann oder Volkswagen fördern eher systemkonformes Denken.

Der hohe Marktpreis wissenschaftlicher Legitimation des "Laissez faire" ist Anreiz für Ökonomen, ein entsprechendes Angebot zu erstellen. Allerdings sind sie als Wissenschaftler (auch) "Geistesmenschen", Geld ist also nicht (allein) ausschlaggebend. Zur Vorbeugung möglicher Konflikte zwischen materiellem Interesse und ideellem Erkenntnisdrang lehren diese Theorien, dass die egoistischen Motive der Einzelnen durch das Wirken der "unsichtbaren Hand" des Marktes insgesamt nicht nur das ökonomisch und sozial Gute ermöglichen, sondern das Beste. Dies gilt natürlich auch für Ökonomen als "Theorieverkäufer".

Allerdings ist es unzulässig, diese neoliberale Theorie dem großen Klassiker Adam Smith unterzuschieben. Für ihn ist der Markt das wichtigste Medium, um Effizienz zu erreichen, für soziale Verantwortung oder Gerechtigkeit sorgt er aber nicht. Doch auch darauf kommt es nach Adam Smith im Zusammenleben der Menschen an. Erst für neoliberale Ökonomen wie Hayek gilt: Was die Marktprozesse nicht leisten, darf ein Ökonom nicht auf andere Weise ("konstruktivistisch") versuchen. Nicht einmal denken.

Die größte Übereinstimmung zwischen Nachfrage und Angebot stellt sich in "Normalzeiten" im Bereich jener Theorie ein, welche die Vorsehung Gottes zur "unsichtbaren Hand" des Marktes säkularisiert, die Theorie des "Laissez faire" beziehungsweise des Neoliberalismus. Da ihre Vertreter gerne mit dem Begriff "natürlich" operieren (man denke an die "natürliche Arbeitslosenrate" von Milton Friedman), bezeichne ich sie als die "natürliche Theorie". Darin kommt der Glaube an die (Natur-)Gesetzlichkeit ökonomischer Abläufe zum Ausdruck. Während in "Normalzeiten" das (jeweilige) Erkenntnisinteresse und die (unterschiedlichen) "Brieftaschen" der Nachfrager die Produktion ökonomischer Theorien antreiben, wird in schweren Krisen ein anderer Faktor prägend: die Suche nach ihren Ursachen und nach Wegen zu ihrer Überwindung. Skizziert am Beispiel der Weltwirtschaftskrise: Die "natürlichen" Ökonomen konnten zu ihrer Überwindung nichts beitragen. Ihre Empfehlungen wie Nulldefizit, Lohnsenkungen und Kürzung der Arbeitslosenunterstützungen hatten ja wesentlich zur Krise beigetragen. Notgedrungen stieg daher die Nachfrage nach Erklärungen "unnatürlicher" Ökonomen. Versteht man unter "gesellschaftlich" respektive "sozial" den Gegenbegriff zu "natürlich", so kann man sie als "soziale Ökonomen" bezeichnen (dass dabei eine Wertung mitschwingt, passt durchaus).

Soziale Ökonomen schätzen das Dogma von der Unfehlbarkeit des Marktes gering, sie denken konkret, ausgehend von den jeweils bedrückenden Problemen; dazu gehört auch Anteilnahme mit den Betroffenen und die Bekämpfung jener, die sie für Krisenverursacher halten. Deshalb versprechen ihre Theorien nicht allen das Beste, sondern vielen etwas Besseres. Ihre Theorien sind unvollständig und mitunter widersprüchlich, so wie die Realität, die sie zu erklären und zu verbessern versuchen. Auch sind sie nicht so elegant wie die natürlichen Gleichgewichtstheorien. Sozialen Ökonomen ist Nützlichkeit wichtiger als Schönheit.

Der bedeutendste soziale Ökonom des 20. Jahrhunderts war Keynes. Seine Gegner waren die "Laissez-faire"-Kollegen, ihre politischen Vertreter in der Notenbank und die Rentiers, also die Besitzer großer Finanzvermögen, welche diese durch Spekulation zu vermehren versuchten.

Die Nachfrage nach Keynes' Theorie florierte nach der Weltwirtschaftskrise auch deshalb, weil diese zu viele Verlierer geschaffen hatte. Überdies waren die Unternehmer in eine prekäre Lage geraten: Je mehr sich die Krise vertiefte, desto stärker wurde das Wirtschaftssystem an sich in Frage gestellt. Da Keynes den Kapitalismus retten wollte (er war strammer Antimarxist), schluckte man einen Teil seiner Reformempfehlungen. Ihre Umsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte anhaltende Prosperität: Der Staat verfolgte eine aktive Konjunktur-, Beschäftigungs- und Wachstumspolitik, die Finanzmärkte wurden reguliert, Wechselkurse und Rohstoffpreise stabilisiert, die Aktienmärkte dösten vor sich hin, die Notenbanken hielten das Zinsniveau unter der Wachstumsrate, die Systeme der sozialen Sicherheit wurden ausgebaut. Realinvestitionen und internationaler Handel boomten, der Konsum expandierte stetig. Bei hohem Wirtschaftswachstum sank die Arbeitslosigkeit rasch, das Vertrauen festigte sich. Kurz: Eine "Normalzeit" brach an. Die natürlichen Ökonomen bereiteten ihr Comeback vor.

Dazu musste allerdings erst die Zahl der Unzufriedenen steigen. Dies ermöglichte paradoxerweise der Erfolg des Keynesianismus. Bereits um 1960 wurde Vollbeschäftigung erreicht, die Gewerkschaften gingen nun in die Offensive: Mitbestimmung und eine Umverteilung zugunsten der Löhne wurden gefordert und durchgesetzt, Mitte der 1960er nahmen Streiks sprunghaft zu (Italien, Frankreich, England, USA). Die Studentenbewegung 1968 erschien den Vermögenden als "Alarmsignal", weil viele Intellektuelle in den Medien mit ihr sympathisierten. Wenig später stellte die Ökologiebewegung den (Vergeudungs-)Kapitalismus aus ihrer Perspektive in Frage. In Ländern wie Italien, Frankreich oder England konnten Unternehmer betriebliche Entscheidungen wie Kündigungen nicht mehr durchsetzen, die wurden mit Streiks beantwortet.

Gleichzeitig wurden auch die Rentiers zunehmend unzufrieden. Als Folge anhaltender Prosperität waren die Finanzvermögen enorm gewachsen, ihre Vermehrung durch lukrative Veranlagung oder Spekulation wurde aber durch niedrige Zinssätze und regulierte Finanzmärkte beschränkt. Überdies begann das Inflationstempo zu steigen.

Die Nachfrage nach Theorien, welche die Zurückdrängung von (Sozial-)Staat und Gewerkschaften, die Befreiung der Finanzmärkte und den Vorrang für den Geldwert legitimieren, nahm wieder zu. Milton Friedman, der große natürliche Ökonom, hatte für alle drei Anliegen Theorien im Angebot. Schon in den frühen 1950er-Jahren plädierte er für eine Liberalisierung der Finanzmärkte, da Spekulation die Kurse stabilisiere und so allen nütze. In seinem Werk "Kapitalismus und Freiheit" (1962) stellte er fest: Individuelle Freiheit kann es nur in einer Marktwirtschaft ohne Sozialstaat geben (mögen auch manche Tellerwäscher, die nicht Millionäre werden, verkommen, so verkommen sie doch in Freiheit). Schließlich "bewies" er, dass eine expansive Beschäftigungspolitik die Arbeitslosigkeit nicht nachhaltig unter ihre "natürliche" Rate senken könne, sondern nur die Inflation erhöhe. Einer List der Geschichte ist zu danken, dass Friedman mit dieser Theorie just 1968 seinen Durchbruch auf akademischer Ebene erzielte.

Noch fehlte freilich der schlagende empirische Beweis. Dieser stellte sich bald ein: 1971 entbanden sich die USA von ihrer in Bretton Woods eingegangenen Verpflichtung zur Goldkonvertibilität des Dollar, die Bildung der Wechselkurse wurde - ganz im Sinne von Friedman - den Marktkräften überlassen, der Dollar verlor 25 Prozent seines Werts. Darauf reagierten die Exporteure von Erdöl (es notiert in Dollar) mit einer drastischen Erhöhung des Ölpreises. Dies verursachte die erste globale Rezession der Nachkriegszeit, die Arbeitslosigkeit stieg und gleichzeitig auch die Inflation. Der Keynesianismus war widerlegt. Er hatte ja behauptet, man könne mit höherer Inflation eine Senkung der Arbeitslosigkeit erkaufen.

Damit wurde eine essentielle Eigenschaft neoliberalen Empfehlungen wirksam: Sie produzieren Probleme, welche natürliche Ökonomen als Bestätigung ihrer Theorien interpretieren und für eine Intensivierung ihrer Therapien nützen ("natürliche Rückkoppelung"). So hat Friedman mit seinem Plädoyer für freie Wechselkurse indirekt zu Dollarentwertung, Ölpreisschock und Rezession beigetragen, was er wiederum als Beweis für die Ineffizienz von Vollbeschäftigungspolitik verwertete.

Soll ein wissenschaftliches Weltbild (Paradigma) durch ein anderes ersetzt werden, braucht man eine neue, revolutionäre Theorie. Diese hatte man aber nicht. Also renovierte man das alte "Laissez faire" und verschönerte es mit großem Aufwand. Das offene Problem, auf welche Weise die Erwartungen der Akteure zu einem Gleichgewicht führen, wurde durch folgende Theorie gelöst: Alle Akteure bilden ihre Erwartungen nach dem gleichen Modell, jenem der natürlichen Ökonomen selbst ("Die Welt als Wille und Vorstellung"). Dafür wurde der Begriff "rational" in Beschlag genommen. Unter der Annahme "rationaler Erwartungen" konnten die zentralen Erkenntnisse der natürlichen Ökonomie widerspruchsfrei abgeleitet werden: Staatliche Aktivitäten drängen die effizientere Privatwirtschaft zurück ("crowding out"), eine aktive Konjunkturpolitik ist sinnlos
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("Ineffizienztheorem"), insbesondere kann ein Budgetdefizit die Wirtschaft nicht beleben ("Ricardianische Äquivalenz"), Gewerkschaften und Sozialstaat erhöhen die "Lohnansprüchlichkeit" und damit die natürliche Arbeitslosigkeit (NAIRU-Konzept), die Inflation ist ausschließlich eine Folge des Geldmengenwachstums ("Quantitätstheorie"), die Einkommensverteilung wird durch die Produktionstechnologie bestimmt ("Grenzproduktivitätstheorie") und nicht (auch) durch gesellschaftliche Verhältnisse et cetera. Alle diese Erkenntnisse waren von natürlichen Ökonomen schon in den 1920er-Jahren vertreten worden, ihre Begründungsmodelle erweiterten aber das Angebot (innovative Renovierungen). Diese waren auch deshalb kunstfertig konstruiert, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass das Machtinteresse an einer Zurückdrängung von Sozialstaat, Gewerkschaften und Sozialdemokratie die treibende Kraft ihrer Produktion sei.

In den 1970er- und 1980er-Jahren erlebte die natürliche Ökonomie einen gewaltigen Aufschwung, was Rang und Namen hatte beteiligte sich an ihrer Ausschmückung (wer nicht mitmachte, verlor beides). Nobelpreise wurde fast ausschließlich natürlichen Ökonomen verliehen, die Ausbildung der Studenten folgte den wieder gefundenen Wahrheiten. Viele Professoren, ehedem Keynesianer, traten nun als natürliche Ökonomen auf: Für Geistesgrößen zählt der Verstand an sich und nicht, wofür man ihn verwendet. - In mehreren Etappen wurden die Rahmenbedingungen entsprechend den neoliberalen Erkenntnissen umgestaltet. Auf Grund natürlicher Rückkoppelungen entstand ein sich selbst verstärkender Prozess: Der weitere Verfall des Dollarkurses zwischen 1977 und 1979 förderte den zweiten Ölpreisschock, die Inflation stieg drastisch, die Notenbanken erhöhten daraufhin die Zinsen noch stärker. Seither liegen sie permanent über der Wachstumsrate. Die Unternehmen mussten das Wachstum ihrer Investitionen zurücknehmen.

Die Entfesselung der Finanzmärkte schaffte eine Vielzahl neuer Spekulationsmöglichkeiten, insbesondere durch den Handel mit Derivaten. Dieser destabilisiert Wechselkurse, Rohstoffpreise, Zinssätze und Aktienkurse. Letztere begannen zu boomen. Damit stieg der Anreiz für Unternehmen zu Finanzveranlagung und -spekulation (statt realer Investition). Das Wirtschaftswachstum sank, die Arbeitslosigkeit stieg und damit auch die Staatsverschuldung, insbesondere in den europäischen Sozialstaaten. Diese übernahmen um 1990 das Konzept einer Regelbindung der Wirtschaftspolitik, ein Kernstück der natürlichen Ökonomie: Die Fiskalpolitik wurde den Maastricht-Kriterien unterworfen, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dem Primat der Preisstabilität.

Die Sparpolitik kürzte die Ausgaben für öffentliche Investitionen und Beschäftigung sowie für die Kernbereiche des Sozialstaats. Die damit verbundene Verunsicherung der Haushalte dämpfte den Konsum. Dazu trug auch die Entwicklung der Löhne bei. Seit 25 Jahren steigen sie langsamer als die Produktivität, die Lohnquote sinkt, die Gewinnquote steigt. Am schlimmsten ist die Lage in Deutschland geworden. Der beispiellose Boom der freiesten Märkte, der Börsen, die zunehmende Finanzveranlagung und -spekulation deutscher Konzerne, die Transformation der Banken von Dienstleistern für Unternehmen und Haushalte zu Spekulationskonzernen, der Rückgang der Reallöhne, das sich selbst "Zurücksparen" des Staates und die "Reformpolitik" gegenüber Arbeitslosen und prekär Beschäftigten: All diese Entwicklungen folgten den Leitlinien der natürlichen Ökonomie und haben einen sozialen Trümmerhaufen hervorgebracht.

Warum können Politiker, Journalisten und Wissenschaftler nicht innehalten und nüchtern Bilanz ziehen? Warum wird stattdessen ein "more of the same" eingefordert wie weitere Senkungen von Reallöhnen und Sozialleistungen? Antwort: weil die Hegemonie der natürlichen Ökonomie in Politik (insbesondere innerhalb der Sozialdemokratie), Medien und Wissenschaft in Deutschland nahezu total geworden ist. Wie aber sollen die Eliten ihr eigenes Denken und Handeln als Krisenursache begreifen? Sie können kein Einsehen haben.

Zusätzlich behindert wird das Begreifen der Krise durch ihren "einschnürenden" Charakter: Sie wuchs in einer Abfolge natürlicher Rückkoppelungen über 30 Jahre heran, das langsame "Engerwerden" gibt jeder Etappe den Anschein eines "Sachzwangs", der weitere Opfer unvermeidlich macht. Dies erschwert es sozialen Ökonomen und noch mehr den "Normalbürgern", den Prozess in seiner Gesamtheit zu verstehen und alternative Wege zu denken. Überdies sind neoliberale Ökonomen Meister der Symptomdiagnose und -therapie, die sich in den ("schnellen") Medien leichter "rüberbringen" lassen als systemische Zusammenhänge. Ein Gedankenexperiment verdeutlicht diese Problematik: Wäre der Anstieg der Arbeitslosigkeit seit 1973 in nur vier Jahren erfolgt (wie in der Weltwirtschaftskrise), wie anders hätten Ökonomen, Journalisten und Politiker reagiert! So aber bestätigen sich die Eliten in Wissenschaft, Medien und Politik wechselseitig die Richtigkeit ihrer Weltanschauung, auch weil sie voneinander abhängig sind. Die Vereinheitlichung des Weltbilds erscheint in natürlicher Rückkoppelung dann als Beweis seiner Richtigkeit.

Wie immer, wenn eine Wissenschaft in eine schwere Krise gleitet, erhebt sich zunächst der Zweifel, angesichts der Resultate neoliberaler Politik erfasst auch natürliche Ökonomen ein vager Argwohn, da könne etwas fundamental falsch laufen (die "Normalbürger" sind da den Kopfarbeitern weit voraus). Nur die Gläubigsten wie Professor Sinn in Deutschland machen unverdrossen weiter, doch ihre Vorschläge überzeugen immer weniger. In dieser Phase erster Anfechtungen reagiert der "Mainstream" mit einer Verengung des Blickwinkels und Unduldsamkeit gegenüber anders denkenden Kollegen. So erfolgte die Entfernung von Gustav Horn von der Leitung der Konjunkturabteilung am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung einzig deshalb, weil er die wirtschaftlichen Effekte der Hartz-Gesetze negativ beurteilte - er behielt Recht, nicht aber seinen Posten.

Die Verengung des Blickwinkels zur Vermeidung "kognitiver Dissonanzen" zeigt sich daran, dass jene Entwicklungen, welche die Wirtschaftsdynamik in den vergangenen 25 Jahren am stärksten veränderten, von natürlichen Ökonomen ausgeblendet werden: Finanztransaktionen wachsen explosiv und erreichen bereits das 56-fache des Bruttoinlandsprodukts aller Industrieländer. Die am meisten verbreitete Spekulationstechnik verarbeitet lediglich die jüngste Kursentwicklung ("technische Analyse"). Angesichts der Geschwindigkeit des Handels werden Erwartungen nur über die Bewegungsrichtung von Kursen gebildet, nicht aber über ihr Niveau, eine Konvergenz zu Gleichgewichten ist deshalb nicht möglich. Die wichtigsten Preise der Weltwirtschaft wie Wechselkurse, Ölpreise und Aktienkurse weichen (dementsprechend) in irregulären Zyklen von ihren Fundamentalwerten ab, und zwar erheblich.

Alle diese Entwicklungen widersprechen der neoliberalen Wirtschaftstheorie diametral. Sie werden (daher) von natürlichen Ökonomen nicht wahrgenommen und von Institutionen wie Währungsfonds, OECD, EU-Kommission oder EZB nicht analysiert (die Reallohnansprüchlichkeit der Arbeitslosen aber umso gründlicher).

Fazit: Die "Einschnürungskrise" wird sich noch verstärken (müssen). Aber die Stunde der "sozialen" Ökonomen wird kommen. Sie sollten sich gut vorbereiten.

P. S.: Ich widme diesen Beitrag Kurt W. Rothschild. Seit etwa 70 Jahren zeigt er: Es lohnt, als sozialer Ökonom tätig zu sein, wenn es sich auch nicht immer auszahlt.

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