Roh & gekocht: Umdenken im eigenen Fach

Oft herrschte eine romantische Auffassung von der Harmonie der Indigenen mit der Natur.

Es hat den Anschein, die öffentliche Meinung der Industrieländer kippt in Fragen Klimawandel und Erderwärmung. Diese sind bis zuletzt von maßgeblichen Seiten als nicht von Menschen verursachte natürliche Entwicklung dargestellt worden, entgegen der wachsenden Einsicht von vielen. Jetzt wird der UNO- Bericht über Klimawandel und Erderwärmung wenigstens nicht ignoriert, wonach 90 Prozent der aktuellen Vorgänge von Menschen verursacht sind. Vielleicht zeigt das einen grundlegenden Wechsel im öffentlichen Denken an, vielleicht kommt er noch nicht zu spät. Ein solcher Wechsel im Denken wäre bemerkenswert.

Bemerkenswert daran ist zum Beispiel: Jene, die in dieser Frage bisher „unbeeinflussbare natürliche Ursachen“ behaupteten, vertraten in fast allen anderen Fragen das menschlich Machbare. Bemerkenswert auch, dass nicht wenig Expertise in den Sozialwissenschaften strapaziert wurde, in Soziologie und Ökonomie etwa, um die nun veraltete Auffassung zu stützen, dass es fortwährend andere Prioritäten gäbe als diese. Respekt und Anerkennung für jene in den Naturwissenschaften, in Klimaforschung und Biologie zum Beispiel, die Wesentliches zum Umdenken beitragen.

Die Kultur- und Sozialanthropologie ist ein kleines Fach, das selten Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen hat. Aber ich muss einbekennen: Wo und wenn dies geschah, hat das nicht immer zu besseren Einsichten in die komplexen Wechselverhältnisse zwischen Mensch und natürlicher Umwelt geführt. Zumal im deutschen Sprachraum in meinem Fach lange Zeit hindurch von „Naturvölkern“ gesprochen wurde, als ob jene Eskimo (Inuit) oder Irokesen (Iroquois) selbst keine „Kultur“ hätten, und als ob ihre Lebensformen einem hypothetischen Naturzustand näher seien als andere.

Dann wurde auch mein Fach vom Rassenwahn erfasst, in dem biologische Konstrukte zum Maß aller Dinge eingesetzt wurden. Und zuletzt herrschte oft eine romantische Auffassung vor, nach der indigene Gesellschaften mit ihrer natürlichen Umwelt in völliger Harmonie verbunden seien. Auch mein Fach wird also gut daran tun, deutlich umzudenken, wo dies nicht schon begonnen hat.

Umdenken im eigenen Fach: Viele vorindustrielle Kulturen haben ihre Umwelt sträflichst vernachlässigt. Jene nomadischen Gesellschaften, die sich nicht auf die Folgen von Überweidung einstellen konnten, gingen unter. Jene Oasenbauern in den Schwemmländern Mesopotamiens, die mit der Versalzung ihres Bodens nicht umzugehen wussten, verschwanden. Auch die antike Abholzung riesiger Areale im Mittelmeerraum hatte katastrophale Folgen. Wenn die Angehörigen meines Faches umdenken, könnten sie über Jahre Beispiele dafür anführen, was passiert, wenn Menschen die Aus- und Rückwirkungen ihres Handelns gegenüber der Umwelt ignorieren.

Umdenken im eigenen Fach: Ablösung von der allzu großen Nähe zu Machbarkeitsfans in den großen Sozial- und Kulturwissenschaften. Größere Nähe zu den Nachdenklichen auch in den Naturwissenschaften.

Andre Gingrich ist Anthropologe an der Uni Wien und Direktor der Forschungsstelle für Sozialanthropologie an der Akademie der Wissenschaften.


kultur@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2007)

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