Balkan: Serbien, ein Staat in Total-Lähmung

Elf Wochen nach der Wahl noch keine Regierung, der Premier herrscht per Dekret.

Belgrad. Serbiens Landesvater Boris Tadic muss mehr als zwei Monate nach der Parlamentswahl den Tröster geben: Man sei eben noch eine junge Demokratie. Er glaube jedoch, dass sich die Regierungsbildung nach Ostern beschleunigen werde, versprach der Staatschef seinen langsam ungeduldig werdenden Landsleuten.

Während Tadic also auf österliche Erleuchtung der Parteipolitiker hoffte, überhäuften sich diese mit Vorwürfen. Premier Vojislav Kostunica regiert mit umstrittenen Dekreten, in der Presse mehren sich Rufe nach Neuwahlen. Obwohl die Parteien des sogenannten „Demokratischen Lagers“ im Jänner eine Parlamentsmehrheit erzielten, haben die Demokraten, die national-konservative DSS Kostunicas und die wirtschaftsliberale G17-Plus auf dem Weg zur anvisierten Drei-Parteien-Koalition kaum Fortschritte verbucht. Im Gegenteil, sie scheinen sich weiter entfremdet zu haben.

Auf die Bremse drückte vor allem Kostunica, der sich jeglicher Verantwortung für den UN-Plan einer international überwachten Unabhängigkeit für die Provinz Kosovo entziehen will. Obwohl seine Partei nur noch die drittstärkste Kraft ist, will er weder seinen Posten abtreten noch an seiner Machtfülle Abstriche machen.

Wählt DSS „radikale“ Option?

Stärkste Partei der beabsichtigten Koalition sind die bisher oppositionellen Demokraten. Sie scheinen sich widerwillig mit einer Amtsverlängerung Kostunicas abgefunden zu haben, bestehen aber auf Schlüsselressorts. Dem verweigert sich der Premier bisher. Doch da Kostunica auch mit Radikalen und Milosevic-Sozialisten eine Mehrheit bilden kann, sitzt er am längeren Hebel: Die Möglichkeit einer „Kooperation“ mit den Radikalen sei keineswegs ausgeschlossen, warnt DSS-Politiker Milos Algirudic: Schließlich müsse der Staat ja funktionieren.

So sehr Kostunica bei der Kosovo-Frage auf der Einhaltung internationalen Rechts beharrt, so wenig schert sich der Jurist zuhause um die eigene Verfassung. Mit Dekreten wurstelt sich sein Kabinett schon seit Wochen über die Runden. Als „verfassungswidrig“ kritisierten Juristen den kürzlich beschlossenen Nothaushalt. „Kostunica wie ein Diktator“, titelte gar das Boulevardblatt „Kurir“.

Von einem „finanziellen Putsch“ und „gefährlichen Präzedenzfall“ sprach Bozidar Djelic von den Demokraten. Doch Serbiens Verfassungsgericht hat keine Möglichkeit, die Regierung in die Schranken zu weisen: Seit Monaten hat es keinen Präsidenten und kann nicht zusammentreten.

Privatisierungen auf Eis

Wegen der Lähmung des politischen Lebens – es gibt noch nicht einmal einen Parlamentsvorsitzenden – liegen unzählige Gesetzesvorhaben auf Eis, haben sich geplante Privatisierungen auf unbestimmte Zeit verschoben. Besorgt warnen Ökonomen bereits vor den wirtschaftlichen Folgen des Koalitions-Theaters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2007)

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