„Was immer geschieht, wir bleiben hier“

Die Menschen in der südlibanesischen Hisbollah-Hochburg Bint Jbeil haben Angst vor einem neuen Krieg mit Israel.

Was der Schuhhändler Raef El Ashi sagt, hört man oft in Bint Jbeil: „Die libanesische Regierung hat uns im Stich gelassen.“ Auf die von Christen und Sunniten dominierte Regierung von Fouad Siniora war man hier noch nie gut zu sprechen, die im Süden des Landes lebenden Schiiten fühlen sich von der pro-westlichen Regierung in der Hauptstadt Beirut nicht vertreten. Bint Jbeil liegt im äußersten Südosten des Libanon und gilt als Hochburg der Hisbollah.

Hier fanden im Krieg zwischen der Schiitenmiliz Hisbollah und Israel im Juli 2006 schwere Kämpfe statt. Der alte Stadtkern liegt seither in Trümmern, die Kriegsschäden sind überall zu sehen. Viele der Gebäude am Bazar weisen Bombenschäden auf, die Auslagen sind aus Plastik, nicht aus Glas, auf Plakaten wird vor herumliegender Streumunition gewarnt.

Das Schuhgeschäft von Herrn Ashi in der Bazar-Straße von Bint Jbeil läuft schlecht, sagt er, „Niemand hat Geld, um sich etwas zu kaufen.“ Auf die Frage, wie es nun hier weitergehen soll, zuckt der 52-Jährige nur mit den Achseln. Sein Sohn mischt sich ein: „Was immer geschieht, wir bleiben hier.“ Damit beendet er das Gespräch; dann taucht der Gemeindepolizist auf, der Papiere sehen will. Journalisten begegnet man hier mit Misstrauen.

Fest in der Hand der Hisbollah

Bint Jbeil ist fest in der Hand der Hisbollah, auf Plakaten sieht man die Bilder von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah, Hisbollah-Gründer Abbas al-Musawi und dem geistigen Führer der militanten Schiiten-Organisation, Mohammed Hussein Fadlallah. Ein Beamter des Innenministeriums in Bint Jbeil, der ungenannt bleiben will, weil er nicht befugt ist, mit Journalisten zu sprechen: „Das Emirat Katar kommt, wie es mit der Regierung in Beirut vereinbart ist, für die Wiederaufbaumaßnahmen in Bint Jbeil auf. Daher glauben die Leute, Katar hilft mehr als die libanesische Regierung.“

Der Mann Ende 50 verteidigt zwar die Regierung in Beirut, gibt sich aber ebenfalls als Hisbollah-Anhänger zu erkennen: „Israel hätte sich ohne den Widerstand der Hisbollah nie aus dem Südlibanon zurückgezogen. Wir brauchen die Hisbollah.“

Die „Partei Gottes“ entstand als Folge des Bürgerkriegs im Libanon in den 70er und 80er Jahren und der israelischen Besetzung des Südlibanon. Die von Syrien und Iran unterstützte Organisation blieb auch nach dem vom damaligen Premier Ehud Barak befohlenen Rückzug Israels aus dem Südlibanon im Jahr 2000 aktiv.

Israel würde immer noch libanesisches Gebiet besetzt halten, argumentiert Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah. Er fordert von Israel, sich aus dem besetzten Gebiet der Shebaa-Farmen am Golan (das neben dem Libanon auch von Syrien beansprucht wird) zurückzuziehen und Gefangene der Hisbollah freizulassen.

Brüchiger Friede

Als die Hisbollah am 12. Juli 2006 zwei israelische Soldaten entführte und Raketen auf israelisches Gebiet abfeuerte, reagierte Israel mit einer groß angelegten Operation, die Premierminister Ehud Olmert schon im März 2006 für einen derartigen Fall autorisiert hatte. Als der Krieg am 14. August nach 34 Tagen endete, waren mindestens 800 libanesische und 43 israelische Zivilisten tot.

Die 23-jährige Nadar traut auch jetzt, acht Monate nach Kriegsende, dem Frieden nicht. Die junge Frau, sie trägt ein buntes Kopftuch mit Blumenmuster, arbeitet in einem Kleidergeschäft gleich neben dem Schuh-Laden von Herrn Ashi. Schrapnellsplitter haben die Wände beschädigt, in einer Auslage liegen noch Glassplitter. Sie spricht nicht über den „Widerstand“, „Märtyrer“ oder die Hisbollah, sondern von den Schwierigkeiten des Alltags in einer zerstörten Stadt.

Was die Zukunft wohl bringen mag? Sie weiß es nicht – und für große Pläne sei das hier nicht der richtige Ort, meint sie, „denn der Krieg kann jederzeit wieder ausbrechen“. Wie zum Beweis ist aus der Ferne das Donnern eines Kampfjets zu hören.

Vier Kilometer nordwestlich von Bint Jbail liegt das Camp der französischen UN-Truppe. Es trägt die militärisch-schlichte Bezeichnung „2-45“. Die Soldaten hier sind optimistischer als Frau Nadar, dass der Frieden halten wird. Außer regelmäßigen Verletzungen des libanesischen Luftraums durch israelische Flugzeuge haben die Soldaten der Unifil-Truppe (UN Interim Force in Lebanon) seit Monaten keine besonderen Vorkommnisse zu melden.

Der französische Oberstleutnant George Reichert berichtet von zwei Aufgaben, die seine Truppe hat: Mit Patrouillen soll das Gelände kontrolliert werden, eine schnelle Eingreiftruppe steht bereit, sollte es zu einem Ernstfall kommen. Die Franzosen haben für diesen Fall sogar ihre schweren „Leclerc“-Kampfpanzer mitgebracht – ganz nach dem Willen des französischen Präsidenten Jacques Chirac, der von einem „robusten Mandat“ gesprochen hatte, als er seine Soldaten in den Libanon entsandt hatte.

„Keine Auffüllung der Arsenale“

Der letzte Zwischenfall liegt einige Monate zurück: Im Februar kam es zu einem Schusswechsel zwischen der israelischen und der libanesischen Armee. Hinweise darauf, dass der Konflikt diesen Sommer wieder aufflammen könnte, sieht Reichert keine: „Es gibt nach unseren Informationen weder eine Auffüllung der Arsenale noch sonst irgendwelche Anzeichen für Vorbereitungen auf eine erneute bewaffnete Auseinandersetzung.“

Die französischen Soldaten stellen sich jedenfalls auf eine längere Präsenz im Libanon ein. Genaue Angaben will der Presseoffizier, Hauptmann Denis Biojout, nicht machen: „Das liegt nicht an der Armee, das zu entscheiden, sondern das ist Aufgabe der Politik. Warten wir die nächste Runde der Präsidentenwahlen ab. Dann sehen wir weiter.“

Inline Flex[Faktbox] DER LIBANON-KRIEG("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2007)

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