Iran: Märtyrerkult und Opfermythos

Die Basiji sind die Revolutions-Hüter. Mit Ahmadinejad ist einer der Ihren an der Macht.

Teheran. Der Märtyrerfriedhof Golzur-e-Shohadaye Imam Zadeh liegt im gutbürgerlichen Bezirk Shemiran im Norden der iranischen Hauptstadt. Hier, am Fuß des mächtigen Elburs-Gebirges hat man an diesem klaren, sonnigen Tag einen wunderbaren Blick auf das Becken, in dem die Zwölf-Millionen-Metropole Teheran, eingerahmt von Bergketten, liegt. Ganz in der Nähe war nicht nur die Sommerresidenz der Pahlevis, hier wohnte auch einmal Imam Khomeini, der Begründer der Dynastie der Ayatollahs, die seit der Islamischen Revolution 1979 in Iran herrschen.

Verhasste Amerikaner

Sayyed Mohammed Josi (45) kommt regelmäßig hierher, zu den Gräbern der 800 Shahids (Shahid heißt „Märtyrer“). Mohammed Josis Bruder Sayyed Ali Reza Josi liegt hier begraben. Er ist als 14-Jähriger freiwillig in den Krieg gegen den Irak gezogen und hat in den letzten Kriegstagen sein Leben in der Nähe von Khorramshar verloren. Auch Mohammeds älterer Bruder verlor in diesem blutigen Krieg sein Leben: Er starb mit 32 Jahren in Zubayd in der an Irak grenzenden Provinz Khusistan.

Mohammed Josi ist der drittälteste von fünf Geschwistern. Alle seine Brüder waren Aktivisten während der Islamischen Revolution oder sind in den Krieg gegen den Irak gezogen. Die Familie von Mohammed Josi lebt seit Generationen im Norden der Stadt, der nicht dafür bekannt ist, dass dort die loyalsten Bürger der Islamischen Republik leben würden.

Im benachbarte Stadtteil Elahiyeh – gleich ein paar Straßen weiter südlich – finden sich die schicksten Boutiquen Teherans, hier gibt es Markenmode von Gucci bis Prada, in einem Shop wurde sogar eine Zeitlang original „Victoria's Secret“-Unterwäsche verkauft.

Aber die Familie Josi, die seit vier Generationen im Bezirk Shemiran, gleich um die Ecke des Märtyrerfriedhofs wohnt, verkörpert den Geist der Islamischen Republik hier im Norden der Stadt – ein Fels in der dekadent-verwestlichten Konsumgesellschaftsbrandung: Die Straße hinter der Moschee ist der Familie zu Ehren „Shadidan Josi“ benannt. Mohammed Josi ist ein Veteran der Pasdaran, der revolutionären Garden und sieht sich heute immer noch als Basij, als Freiwilliger, der bei einer Bedrohung der Islamischen Republik sofort in den Kampf ziehen würde, wie er stolz sagt. Bis aufs Blut würde er die Revolution verteidigen, sagt er.

Schon mit 16 Jahren hatte er sich einer konspirativen Gruppe gegen Schah Mohammed Reza Pahlevi angeschlossen. „Ich wurde verhaftet und gefoltert, seither trage ich diesen Hass gegen die Amerikaner, die den Tyrannen Pahlevi unterstützt haben, in meinem Herzen“, sagt Josi.

Reservearmee des Regimes

Die Basiji sind die Reservearmee des Regimes. Wann immer es in der Vergangenheit darum ging, gegen revoltierende Studenten (1999 und 2003), protestierende Arbeiter oder „unislamisch“ gekleidete junge Frauen – auch gewaltsam – vorzugehen, waren die paramilitärischen Basiji zur Stelle. Sie werden von den Oppositionellen mehr gefürchtet als die Polizei, die zumindest nicht völlig unkontrolliert agieren kann.

Die Basiji, die Kinder der Revolution, sind heute ihre Hüter. Präsident Mahmoud Ahmadinejad verdankt seine Wahl im Jahr 2005 nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz der Basiji, die sich als seine inoffiziellen Wahlhelfer engagierten. Ahmadinejad trägt bei seinen Auftritten regelmäßig den schwarz-weißen Schal der Basiji und macht aus seiner Verbundenheit zu den Reservisten kein Geheimnis. Mohammed Josi: „Ahmadinejad ist einer von uns, wir haben hart dafür gearbeitet, ihm an die Spitze des Staates zu verhelfen.“

„Blut mächtiger als das Schwert“

Der iranische Regisseur Masoud Dehnamaki beschwört in seinem Film „Ekrajiha“ (Die Ausgestoßenen) die Zeit des Iran-Irak-Krieges. Dehnamaki sitzt müde in einem Stuhl im Büro seiner Produktionsfirma am Enqelab-Platz nahe der Universität Teheran. Sein Film ist ein Riesenerfolg, er passt gut in den neuen Zeitgeist, in dem das Ministerium für Kultur und religiöse Führung gerne Filme mit einem patriotischen Unterton in den Kinos sieht.

Damals sei der Iran gegen den Rest der Welt gestanden, sagt Dehnamaki, „Wir mussten uns mit leeren Händen gegen eine Armee zur Wehr setzen, die von der ganzen Welt hochgerüstet worden war.“

Der erfolgreiche Regisseur, der vor allem in konservativen Kreisen höchstes Ansehen genießt, erklärt den Opfermythos der iranischen Revolution: „Wir haben gelernt, dass Blut mächtiger ist als das Schwert“ – eine Botschaft, an die der Iran in diesen Tagen gerade den Westen gerne erinnert.

Inline Flex[Faktbox] LEXIKON.("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2007)

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