Kalter Krieg am warmen Wolgastrand

Der Kreml steht der Europäischen Union derzeit misstrauisch und feindselig gegenüber. Das Gipfeltreffen am Freitag in Samara wird deshalb „ohne Ergebnis oder mit einem Skandal“ enden.

Moskau. „Es ist wie im Kalten Krieg. Da galt es schon als gute Nachricht, wenn ein Treffen überhaupt stattfand“, kommentierte ein deutscher Diplomat den EU-Russland-Gipfel, der am Freitag in der Wolgastadt Samara stattfindet. Er erwarte von der Zusammenkunft von Bundeskanzlerin Angela Merkel, derzeit EU-Ratsvorsitzende, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur „Protokollfotos am Wolgastrand“.

„Der EU-Russland-Gipfel endet entweder ergebnislos – oder ohne Ergebnis, dafür aber mit einem handfesten Skandal“, prognostiziert die Moskauer Wirtschaftszeitung „Vedomosti“. Eines steht aber bereits fest: Die Verhandlungen für ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen – das alte läuft in diesem Jahr aus – werden auch in Samara nicht aufgenommen. Russland weigert sich, das Importverbot für Fleisch aus Polen aufzuheben, und Polen macht deshalb von seinem Vetorecht gegen den Start der Verhandlungen Gebrauch.

War bisher der Fleischstreit mit Polen das Haupthindernis, sind auch die Bedenken anderer EU-Mitglieder gewachsen: An erster Stelle stehen Litauen und Estland, die Moskau verärgert haben und deshalb kein russisches Öl mehr bekommen.

Die EU ist Handelspartner (52 Prozent des russischen Außenhandelsumsatzes) und Investor (mehr als 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen) Nummer eins für Russland. Umgekehrt ist Russland hinter den USA und China der drittgrößte Handelspartner der EU. Das Handelsvolumen belief sich 2006 auf 231,6 Mrd. Dollar. 80 Prozent der russischen Exporte in die EU machen Öl, Gas und Metalle aus. Russland deckt 20 Prozent des Öl- und 40 Prozent des Gasverbrauchs der EU.

Putin riskiert im Streit mit der EU daher nicht nur gutnachbarschaftliche Beziehungen, sondern auch den für dieses Jahr vorgesehenen Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO, für den Moskau die Zustimmung der europäischen Partner braucht.

Besonders ärgert die EU-Staaten, dass Russland die Europäische Energiecharta nicht ratifizieren will. Er könne die Vorteile für sein Land nicht erkennen, betont Putin immer wieder. In der Charta geht es um den gleichberechtigten Zugang zu den Pipelines und den Schutz ausländischer Investoren im Energiesektor. Außerdem will die EU ein Frühwarnsystem für Energie-Lieferprobleme.

„Feinde und Verräter“

Russland ist stolz und überreich an Öl und Gas. Doch „Feinde und Verräter“ im Westen, so politische Beobachter in Moskau, würden die geopolitische Bedeutung nicht anerkennen. Störenfriede sind aus russischer Sicht auch die neuen EU-Mitglieder, die sich – siehe die geplante Raketenabwehr in Tschechien und Polen – von den USA instrumentalisieren lassen und die guten Beziehungen zum „Alten Europa“ stören. Dieses Weltbild hat sich hinter den Kremlmauern mittlerweile durchgesetzt.

Dass Russland nicht daran denkt einzulenken, zeigt auch die Gipfel-Vorbereitung. Mit aller Macht suchen die Sicherheitsorgane, eine Kundgebung der Oppositionsbewegung „Ein anderes Russland“ zu verhindern. Razzien in Redaktionsräumen und Festnahmen im Vorfeld sollten Putin-Gegner einschüchtern. Oppositionsführer Gary Kasparow wollte dennoch die Reise an die Wolga wagen. Sollten am Freitag Bilder prügelnder Milizionäre um die Welt gehen, wird sich Putin wieder einmal fragen lassen müssen, wie es mit der Demokratie in seinem Russland stehe.

EU-RUSSLAND-GIPFEL

Ort. Samara, Industriestadt im Südwesten Russlands.

Teilnehmer. Russlands Präsident Wladimir Putin, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident Jos© Barroso plus Delegationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2007)

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