Molterer: „Heiße Luft ist das nicht, ganz im Gegenteil“

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Vizekanzler Molterer zur ÖVP-Bildungsdiskussion: Vielfalt sinnvoll, Nein zu beschränktem Uni-Zugang. In der Koalition kritisiert er die „angenehmen Unwahrheiten“ der SPÖ und ärgert sich über Minister Buchinger.

Die Presse: Kriegt man, hier am Attersee sitzend, nicht Verständnis für die Menschen, die mit Bundespolitik rein gar nichts am Hut haben?

Wilhelm Molterer: Na ja, man gewinnt eine gewisse Distanz zum Alltäglichen, kann auf Wesentliches achten. Und weil wir uns gerade in einer Bildungsdebatte befinden: Der einzige Maßstab, der für mich zählt, ist: Was ist für die Kinder das Beste? Die Vielfalt der Diskussion hat da durchaus ihren Sinn. Meine Aufgabe ist es, das zu konzentrieren, damit wir im Herbst eine umfassende bildungspolitische Perspektive der ÖVP vorlegen.

Es wirkt so, als wären ÖVP-Debatten lange unter Verschluss gehalten worden. Jetzt ist der Deckel weg, dafür sehr viel heiße Luft da.

Molterer: Heiße Luft ist das nicht, ganz im Gegenteil. Es gibt einige äußerst fundierte Beiträge. Den in der Perspektivengruppe Bildung gefundenen gesamtheitlichen Ansatz von Katharina Cortolezis-Schlager – vom Kindergarten bis zur Matura – halte ich für den einzig wirklich möglichen. Aufwertung der Hauptschule: spannend! Manches findet nicht meine Zustimmung, etwa der beschränkte Uni-Zugang. Numerus clausus wird es mit mir nicht geben. Ich halte auch nichts von einer Debatte über Leistungstests für Dreijährige. Das ist falsch interpretiert worden. Fritz Neugebauer wollte den Eltern Hilfe geben. Einige Prinzipien sind für mich unverrückbar: Wahlfreiheit der Eltern, Vielfalt des Bildungsangebots, Bekenntnis zur Leistungsorientierung, und die Lehrer müssen vermehrt Erziehungsaufgaben wahrnehmen können. Die Bildungspolitik gibt ihnen dazu nicht die Instrumente. Ich halte es für ein dramatisches Warnsignal, dass viele Lehrer aufgegeben haben zu benoten.

Sollen Sitzenbleiben und Betragensnoten abgeschafft werden?

Molterer: Das wäre völlig falsch. Wir müssen die Leistung fördern, aber auch ein menschliches Schulwesen schaffen, wo der Schwächere mitkann – ohne Nivellierung nach unten.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied hält die ÖVP-Debatte für eine Sommerloch-Diskussion.

Molterer: Wenn sie es so sieht, hat sie die Bildungsdebatte nicht verstanden.

Ist jetzt nicht trotzdem die Autorität des Parteichefs gefragt, um die dissonanten ÖVP-Töne auf Linie zu bringen?

Molterer: Parteichef zu sein heißt, Diskussionen zuzulassen und am Ende zu entscheiden. Das werde ich im Herbst tun. Alle Parteien diskutieren über die Bildung. Vielleicht sollten wir auch während des Jahres mehr solche „Sommerdiskussionen“ haben.

Aber die ÖVP ist, wie so oft, auf der wenig populären Seite: Aufnahmetests, Selektion usw., während die SPÖ Freundlicheres verkündet.

Molterer: Der Weg des geringsten Widerstands führt ins Abseits.

Oder in die Wahlniederlage.

Molterer: Die Frage ist doch: Ist etwas richtig oder falsch? Die ÖVP ist nicht der Ort der Beliebigkeit. Ich habe mir vorgenommen, im Herbst zu drei Themen klare ÖVP-Positionen vorzulegen: Bildung, Integration, moderne Arbeitswelt inklusive Mitarbeiterbeteiligung.

Die ÖVP radelt im Sommer, der Kanzler spielt Tennis. Darf man als Politiker nicht mehr unsportlich sein?

Molterer: Das geht. Natürlich wird der Sommer inszeniert. Das muss aber mit der Glaubwürdigkeit der Person im Einklang stehen.

Bei Betrachtung der ÖVP-Sommerkampagne fällt einem der alte Spruch des SPÖ-Beraters Greenberg zu Alfred Gusenbauer ein: „Put him in a team.“ Fühlen Sie sich zu schwach, um alleine aufzutreten?

Molterer: Nein, und das ist ja auch kein Wahlkampf. Aber ich denke schon, dass die Stärke der Volkspartei in der Vielfalt dieses Teams liegt – ein Kontrapunkt zu vermeintlichen Einzelspielern.

Ist der Kanzler einer?

Molterer: Ich habe nicht den Eindruck, dass er auf sein Team großen Wert legt. Ich tue es.

Ist es professionell, wenn man so wie Ihre Familienministerin Andrea Kdolsky zugibt, dass man geweint hat, alles hinhauen wollte?

Molterer: Einerseits habe ich Verständnis, weil es menschliche Regungen gibt. Andererseits ist die Politik leider so unmenschlich geworden, dass das negativ ausgelegt wird. Ich habe mich entschieden, persönliche Freiräume nicht mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Hat man Momente, wo man alles hinschmeißen will?

Molterer: Ja, Politiker sind Menschen wie andere auch, mit einem gravierenden Unterschied, der es manchmal wirklich extrem schwer macht: Wenn man nicht selbst Grenzen zieht, ist man eine ausschließlich öffentliche Person und sogar rechtlich Allgemeingut. Mit Politikern kann man machen und über sie fast alles sagen, was man will. Ich halte das für völlig falsch. Als Politiker muss man Nein sagen können. Das ist oft wichtiger als das Wort „Ja“.

Persönlich und politisch?

Molterer: Genau, in beiden Fällen. Wenn ich als Finanzminister zu jedem Wunsch Ja sage, würden wir bei schwächerer Wirtschaft in einen unverantwortlichen Defizitpfad hineintaumeln.

Die Kehrseite davon ist, dass die ÖVP von der SPÖ als „Neinsagerpartei“ gebrandmarkt wird.

Molterer: Unangenehme Wahrheiten muss man sagen, um der angenehmen Unwahrheit entgegenzutreten.

Was wäre eine angenehme Unwahrheit der SPÖ?

Molterer: Dass wir uns alles leisten können.

Ist das in der Regierung noch immer so?

Molterer: Sozialminister Buchinger ist ein besonderes Exemplar dieser Strategie, indem er etwa erklärt, dass der Finanzminister Geld für das freiwillige soziale Jahr zur Verfügung stellen sollte. Da muss ich sagen: Lieber Kollege, bei einem derartigen Budget und einer Planungskapazität muss es möglich sein, für so ein wichtiges Anliegen Vorsorge zu treffen. Sonst kann ich einen Sektionschef hinsetzen, der es wahrscheinlich besser macht.



„Sonst kann ich einen Sektionschef hinsetzen, der es besser macht.“

Molterer-Kritik an Minister Buchinger

Vom schwarzen Wirtschaftsminister bis zum grünen Parteichef herrscht Konsens, dass die Grenze, ab der der Spitzensteuersatz gilt, hinaufgesetzt werden sollte. Kommt das?

Molterer: Als ich das vor zwei Monaten vorschlug, sind alle über mich hergefallen. Die Steuerreform muss den Mittelstand entlasten, und dazu gehört auch die Diskussion um die Veränderung des Spitzensteuersatzes oder der Tarifstufe, ab der er gilt. Es ist ein Fortschritt, dass auch die SPÖ auf diesen ÖVP-Vorschlag eingeschwenkt ist. Man muss die Leistungsträger motivieren.

Steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuung?

Molterer: Ist ein Thema, allerdings eines von mehreren rund um die Situation der Familien. Da gibt's auch andere Vorschläge, etwa ein steuerfreies Existenzminimum pro Familienmitglied. Alle Ideen werden jetzt in meiner Steuerreformgruppe im Ministerium gesammelt und bewertet.

AM ATTERSEE

Zum „Litzlberger Keller“ in Seewalchen am Attersee, nahe seinem Urlaubsort, kommt Vizekanzler Molterer per Fahrrad. Das Gasthaus wurde schon von Gustav Klimt geschätzt (und gemalt). „Der Attersee gehört zum Sommer einfach dazu“, sagt der gebürtige Oberösterreicher Molterer, „einer der schönsten, wenn nicht der schönste See“. Hier kann er „absolute Privatheit“ genießen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2007)


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