Wo bleibt in Österreich die Familienförderung?

Die steuerliche Berücksichtigung von Familien mit Kindern ist kaum existent. Eine Steuerreform wird da wenig ändern.

Das österreichische Steuerrecht nimmt – im Unterschied zu jenem der meisten europäischen Ländern – kaum Rücksicht darauf, wie viele Personen von einem Einkommen leben müssen. Steuerlich ist es in Österreich relativ egal, ob jemand für Kinder zu sorgen hat oder nicht. Dies widerspricht klar dem Gleichheitsgrundsatz. Der Verfassungsgerichtshof musste daher die Familienbeihilfe schon vor Jahren „umdeuten“: Er sagt, es würde zwar verfassungswidrig (!) zu viel Steuer von den Eltern einbehalten, diese aber dann über die Familienbeihilfe wieder zurückbezahlt.

Unter dieser Voraussetzung erhalten Eltern nur zu viel bezahlte Steuern zurück, aber insoweit keine Familienförderung! Dass sich Familien dann regelmäßig von Politik und auch der Familienforschung (!) sagen lassen müssen, sie würden in Österreich „überdurchschnittlich“ gefördert, ist zumindest unredlich. Wenn mit diesem Mythos auch noch Kürzungen – nichts anderes sind die jahrelangen fehlenden Wertanpassungen (das Kinderbetreuungsgeld wurde seit seiner Einführung im Jahr 2002 noch nie wertangepasst) – begründet werden, ist das mehr als ungerecht.

Im OECD-Vergleich an 14.Stelle

Die Mär, dass Österreich Weltmeister bei den Familienleistungen sein soll, hält sich hartnäckig. Erst im vergangenen Juli wurde aufgrund einer Wifo-Studie wieder einmal getrommelt: „Österreich ist Spitzenreiter bei den Ausgaben für Geldleistungen für Familien.“ Dabei wird nobel verschwiegen, dass die Familienförderung auf drei Beinen stehen sollte: Direktzahlungen, Infrastruktur und steuerliche Berücksichtigung.

Nobel verschwiegen wird auch, dass die OECD schon 2011 erhoben hat, dass Österreich bei der Familienförderung an 14.Stelle liegt; für das zweitreichste Land in der EU nicht wirklich ein Spitzenplatz: Direktzahlungen (noch) sehr gut, Infrastruktur mittel, steuerliche Berücksichtigung: kaum existent.

Aktuell wird ein Kind mit einem Freibetrag von 132 Euro pro Jahr steuerlich berücksichtigt. Das bringt den Eltern bestenfalls 5,50 Euro pro Kind und Monat. Ein lächerlicher Micky-Maus-Betrag für die Entscheidung, den Dink-Status (double income no kids) aufzugeben und Ja zu Kindern zu sagen. Dabei steht mit Sicherheit nicht der finanzielle Aspekt im Vordergrund, sondern die wunderschöne und herausfordernde Aufgabe, Kinder beim Aufwachsen zu begleiten.

Sehr erfreulich dann, dass eine Regierungspartei im Sommer 2013 versprach, das Kind im Steuersystem besser berücksichtigen zu wollen und betonte: „Die Entscheidung, ob man eine Familie gründet, darf keine finanzielle sein!“ und im anschließenden Nationalratswahlkampf mit einem Steuerfreibetrag von 7000 Euro pro Kind lockte. Von diesem Versprechen blieb – ungeachtet der Tatsache, dass diese Partei den Vizekanzler und Finanzminister stellt – im „Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013 bis 2018“ auf Seite 104 übrig: „Im Rahmen der Steuerreform sollen die Familien besonders berücksichtigt werden.“

Nicht weniger ernüchternd ist die Tatsache, dass der andere Koalitionspartner ein Steuerkonzept übernimmt, bei dem auf 15 Seiten nicht ein einziges Mal das Wort Familie vorkommt. Weil laut Parteichef und Bundeskanzler „kein Blatt dazwischen passt“, wird das ÖGB-Arbeiterkammer-Steuerreformmodell beim SPÖ-Parteitag am 28./29.November beschlossen und ist damit die SPÖ-Verhandlungsgrundlage für die geplante Steuerreform.

Dass in einem ÖGB-Arbeiterkammer-Steuerreformmodell das Wort Familie nicht vorkommt, ist bitter, aber nachvollziehbar. Für Gewerkschaft und Arbeiterkammer stehen die Personen als Arbeitnehmer im Vordergrund, dass sie meist auch Eltern sind, ist sekundär. Das wirklich Fatale ist aber, dass eine Regierungspartei so ein Steuerreformmodell kommentarlos und ohne Wenn und Aber übernimmt.

Ein anderer Player im Hintergrund, die Industriellenvereinigung, lehnt – abgesehen von einem Bildungsfreibetrag – nicht nur eine steuerliche Berücksichtigung der Familien im Steuerrecht ab; sie will darüber hinaus auch noch die Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) kürzen. Der FLAF ist jener Fonds, aus dem die Familienbeihilfe, das Kinderbetreuungsgeld, die Pensionsbeiträge für Kindererziehungszeiten, die Schulbücher, die Schülerfreifahrten, die Elternbildung oder Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen bezahlt werden. Gelder, die für Familienleistungen zweckgewidmet sind.

Die Industriellenvereinigung plädiert dafür, die Einnahmen für den FLAF zugunsten der Arbeitgeber zu kürzen. Der FLAF wird zu 80Prozent aus Dienstgeberbeiträgen gespeist; sie werden von den Arbeitgebern bezahlt und machen 4,5Prozent der Lohnsumme aus. Die letzte Senkung der Dienstgeberbeiträge – von sechs auf 4,5Prozent – passierte unter Bundeskanzler Bruno Kreisky zwischen 1978 und 1991. Eine neuerliche Senkung wäre ein völlig falsches Signal und bedeutete nur, dass die Familien einen Teil der Steuerreform selbst finanzieren müssten.

Bei jedem Ansatz, Kinder im Steuerrecht besser zu berücksichtigen, kommt sofort das Killerargument: Davon profitieren aber nicht alle Familien. Dass von einer besseren Berücksichtigung im Steuerrecht nur jene Eltern profitieren können, die Steuern zahlen, ist eine betriebswirtschaftliche Grundregel. Bei jeder Supermarktaktion beispielsweise ist es selbstverständlich, dass ich den ausgewiesenen Rabatt bekomme, weil ich das Produkt kaufe und nicht deswegen, weil ich einkaufen gehe.

In unserem Steuersystem geht es um Leistungsfähigkeit. Wer mehr verdient, zahlt höhere Ertragssteuern. Das ist legitim und allgemein akzeptiert. Wenn aber aufgrund von Unterhaltspflichten das disponible Einkommen – jener Teil des Einkommens, der hauptsächlich für privaten Konsum zur Verfügung steht – deutlich sinkt, weil steuerlich so gut wie nicht berücksichtigt wird, dass Kinder auch Geld kosten, ist das für eine familienpolitische Lobbyorganisation wie den Katholischen Familienverband ein Skandal.

Kinder nicht nur Privatsache

Kinder sind nicht nur Privatsache! „Es besteht zur Sicherung des Generationenvertrages auch ein öffentliches Interesse an ihnen“, bestätigt der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen von 1991 und 1997. Daher muss – so wie es für jeden Erwachsenen selbstverständlich ist – auch für die Kinder ein angemessener Betrag steuerfrei gestellt werden. Und dies kann aus Gerechtigkeitsgründen nur ein Steuerfreibetrag, ein Betrag also, der das zu versteuernde Einkommen reduziert, leisten.

Bei der kommenden Steuerreform trotz knapper Kassen die steuerzahlenden Familien angemessen zu berücksichtigen ist eine Frage der Gerechtigkeit und sollte nicht nur ein Anliegen der Familienverbände sein. Jüngste Äußerungen des Finanzministers lassen erfreulicherweise auf eine Berücksichtigung der Familien hoffen. Familien und deren Wohlergehen müssen ein Anliegen der gesamten Gesellschaft, der Parteien und Sozialpartner sein. Andernfalls sind sie nur Lobbyisten in eigener Sache.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Alfred Trendl
ist seit 1.Oktober 2011 Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs. Der gebürtige Wiener, Jahrgang 1961, hat Rechtswissenschaften studiert und leitet eine Steuerberatungskanzlei in Wien, die 2004 zum frauen- und familienfreundlichsten Unternehmen gekürt wurde. Trendl ist zweifacher Vater. [ Wilke]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2014)

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