Warum Österreich den Beitritt Palästinas zur Unesco begrüßt

Gastkommentar. Es ist mehr als bedenklich, Neutralität mit Meinungslosigkeit oder Einseitigkeit zu verwechseln. Neutralität ist auch nicht Mutlosigkeit.

Die Weltorganisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Unesco, ist mit der Aufnahme Palästinas kurzfristig ins Scheinwerferlicht der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Eine heiß umstrittene Entscheidung, bei der es jeweils gute Gründe für die Abstimmungsvarianten Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gab.

Österreich hat sich für die Aufnahme Palästinas in die Unesco ausgesprochen. Das war mutig und richtig. Nicht opportunistisch und schon gar nicht neutralitätswidrig, wie von Rainer Nowak in einem Leitartikel vom 6.11. in der „Presse am Sonntag“ argumentiert wird. Das Thema verdient eine sachliche Analyse. Zynische Verdrehungen oder einseitige Verkürzungen greifen zu kurz.

Konsequent gegen Gewalt

Österreich spricht sich konsequent gegen Gewalt und für Dialog und Verhandlungen aus. Im Nahen Osten sind wir seit vielen Jahrzehnten geduldig zugunsten eines ergebnisorientierten Friedensprozesses engagiert.

Wir sind gleichermaßen Freunde des israelischen wie auch des palästinensischen Volkes. Unser deklariertes Ziel sind zwei Staaten, die Seite an Seite in Sicherheit und Frieden miteinander leben. Das bedeutet auch, Fortschritte auf diesem Weg zu würdigen.

Die Palästinenser haben in den vergangenen Jahren mit massiver europäischer und internationaler Hilfe tragfähige staatliche Strukturen aufgebaut, ohne die eine Zweistaatenlösung unrealistisch ist. Dazu gehört auch die Erreichung der Voraussetzungen, die die Palästinenser zur Umsetzung der Unesco-Zielsetzungen befähigen. Darüber – und nur darüber – war in der Unesco-Generalkonferenz zu entscheiden.

Ob die Palästinenser darüber hinaus bereits über sämtliche Voraussetzungen zur UNO-Vollmitgliedschaft verfügen, wird derzeit im Weltsicherheitsrat – und in absehbarer Zukunft vielleicht in der UNO-Generalversammlung – in New York beraten werden.

Die eigentliche Anerkennung von Staaten bleibt ein bilateraler Akt, nicht eine UNO-Entscheidung. Auf den ersten Blick ist das vielleicht eine komplexe Vorgangsweise, aber es gibt bei diesem schwierigen Thema keine simplen „Knopfdrucklösungen“.

Nicht gegen Israel gerichtet

Es ist verfehlt, das österreichische Stimmverhalten in der Unesco als gegen Israel gerichtete Vorgehensweise zu interpretieren. Österreich stellte vielmehr mit seinem Ja in Paris fest, dass die Palästinenser über die notwendigen Voraussetzungen verfügen, vollinhaltlich an der Arbeit der Unesco mitzuwirken und zu ihr beizutragen.

Die Unesco-Arbeit geht weit über die Erhaltung des Weltkulturerbes hinaus, wie jedem auch nur oberflächlich mit dieser Organisation Vertrauten klar sein sollte. So kämpft die Unesco hartnäckig um Erziehung für alle, um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, um die praktische Umsetzung des Respekts der Vielfalt der Kulturen und Sprachen, um Informations- und Meinungsfreiheit, um das friedliche Miteinander der Religionen unserer Welt.

Im Einklang mit dem Völkerrecht

Die österreichische Entscheidung für die Aufnahme Palästinas in die Unesco war in vollem Einklang mit dem Völkerrecht. Die Unesco-Statuten sehen ausdrücklich den Beitritt auch von Nicht- bzw. Noch-nicht-UNO-Vollmitgliedern vor.

Die EU-Staaten haben in dieser wichtigen Frage trotz intensivster Bemühungen keine einheitliche Linie gefunden. Gerade Österreich als traditioneller Verfechter des Multilateralismus hat dies ausdrücklich bedauert. So stimmten letztlich elf EU-Staaten für die Aufnahme Palästinas, elf enthielten sich der Stimme, fünf votierten dagegen. Angesichts eines fehlenden EU-Konsenses hat Österreich außenpolitisch in der Sache Farbe bekannt und mit Ja gestimmt.

Natürlich wurde mit diesem Schritt auch die politische Legitimität der Palästinenser erhöht. Sie können ab sofort wenigstens in einer UNO-Spezialorganisation auf Augenhöhe mit Israel an der Verwirklichung der Unesco-Ziele mitwirken. Es wäre unverantwortlich gewesen, den Palästinensern den Zugang zur vollen Teilnahme weiterhin zu verwehren.

Friedensprozess auf Eis

Die israelische Argumentation, wonach damit der – seit geraumer Zeit nicht mehr existente – Friedensprozess im Nahen Osten nachhaltig behindert und gestört werde, ist nicht nachvollziehbar. Das gilt auch für die Behauptung Israels, diese Entscheidung widerspreche dem internationalen Recht.

Die internationale Staatengemeinschaft ist sich einig darüber, dass die Wiederaufnahme direkter, ergebnisorientierter Friedensverhandlungen dringender denn je geboten ist. Die Aufnahme Palästinas in die Unesco ändert daran nichts. Es darf nicht sein, dass das palästinensische Volk von der israelischen Regierung jetzt für den friedlichen Weg des Multilateralismus bestraft wird durch Vorenthaltung ihrer Zolleinnahmen und Ausbau der Siedlungen, während andererseits Israel mit der zum Gewaltverzicht unwilligen Hamas Vereinbarungen schließt.

Wie soll etwa die Nichtbezahlung der Löhne palästinensischer Polizisten zur Sicherheit Israels beitragen? Es wäre darüber hinaus ein fatales Signal an die Bewegung des Arabischen Frühlings, wenn Gewaltfreiheit bestraft und die Weigerung zum Gewaltverzicht politisch belohnt würde.

Beschämende Unterstellung

Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger hat in Einklang mit der österreichischen Bundesregierung sowohl sachlich als auch politisch richtig entschieden. Es ist beschämend, dem Chef der österreichischen Diplomatie in dieser Frage billigen wahltaktisch motivierten Opportunismus im Zusammenhang mit dem Unesco-Exekutivrat zu unterstellen. Und es ist mehr als bedenklich, Neutralität mit Meinungslosigkeit oder Einseitigkeit zu verwechseln.

Das außenpolitische Ansehen Österreichs in der Welt beruht darauf, dass wir uns in Fragen des Respekts des internationalen Rechts, des bedingungslosen Einsatzes für Frieden und Gewaltfreiheit und der damit im Einklang stehenden Befähigung von Völkern, zur Verwirklichung dieser Ziele beizutragen, eben nicht der Stimme enthalten.

In dieser Tradition wird sich Österreich weiterhin selbstbewusst und selbstbestimmt mit allem Nachdruck an der Suche nach einem Weg zu einem dauerhaften und gerechten Frieden im Nahen Osten beteiligen.

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.comUrsula Plassnik (*23.5.1956 in Klagenfurt) studierte Rechtswissenschaften an der Uni Wien. Seit 1981 in verschiedenen Funktionen im österreichischen Außenministerium (KSZE-Vertretung, Europarat, Botschaft in Bern). Von 2004 bis 2008 österreichische Außenministerin, danach Abgeordnete zum Nationalrat. Seit Anfang September österreichische Botschafterin in Paris und Missionschefin der ständigen Vertretung bei der Unesco. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2011)

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