„Haben wir heute Stuhl gehabt?“

Eigentlich sind die Patienten die „Brötchengeber“ der Ärzte.

Zeitmangel, Geldmangel, zu viel Arbeit, Systemfehler, Mörderstress – das ist der Stoff, aus dem die Krankenhaus-(Alb-)Träume gewebt sind. Das ist der Inhalt der Klagelieder, die Ärzte und Gesundheitssystem-Erhalter allenthalben anstimmen. Das ist die viel gebrauchte Begründung, wenn für den einzelnen Patienten im Alltagsbetrieb wenig Zeit bleibt.

Zeit! Es gibt Untersuchungen folgenden Inhalts: Der Arzt hat eine Minute Zeit für den Patienten im Bett und es macht den großen Unterschied aus, ob er die stehend oder sitzend verbringt. Setzt er sich zum Kranken, fühlt dieser sich gleich viel mehr angenommen, glaubt, der Arzt hätte mehr Interesse an ihm, mehr Zeit für ihn. 60 Sekunden aber bleiben 60 Sekunden, da führt sich das Wort Zeitmangel ad absurdum. Und Geld kostet's auch nicht mehr, wenn der Mediziner sich „herablässt“.

Herablassung: „Haben wir heute Stuhl gehabt?“ „Wie geht's uns denn heute?“ Eine Anrede, die entwürdigt. Worte, die den Sprechenden über den Angesprochenen stellen. Derlei sprachlich ausgedrückte Zeichen von Hierarchie sind in vielen Spitälern noch immer Alltag. Kostet denn die Frage „Wie geht es Ihnen denn heute?“ etwa mehr Zeit oder Geld. Nein, sie kostet möglicherweise falsch verstandene Reputation, knabbert vielleicht hierarchische Dünkel an, aber keinesfalls das Krankenhaus-Budget.

Gott sei Dank: Es sind nicht alle Ärzte so. Und noch einmal Gott sei Dank: Es dürfte sich künftig einiges ändern in der medizinischen Haltung dem Menschen gegenüber. Das ist ganz sicher sehr begrüßenswert. Doch gleichzeitig ist es traurig, dass es Konsensuspapiere und Arbeitsgemeinschaften bedarf, um mehr Seele in die Medizin zu bringen, um dem Menschen mit mehr Respekt zu begegnen.

Wobei Kardiologe und Gynäkologe, Oberarzt und Primar, Krankenschwester und Pfleger, wobei das gesamte medizinische Personal nie vergessen darf: Ohne Patienten wäre es arbeitslos, brotlos, die meisten verdienen erst durch die Krankheit anderer. Die Patienten sind es schließlich, die den Medizinern erst einen Job ermöglichen. „Wie geht's uns damit, Herr Doktor?“


claudia.richter@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2007)

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