Vortrag: „Putin wird gehen, aber Russland wird immer bleiben“

Oppositionsführer Garri Kasparow forderte im Bruno-Kreisky-Forum vom Westen mutigere Kritik an russischen Fehlentwicklungen.

WIEN.Das Bruno-Kreisky-Forum in der Armbrustergasse im 19. Wiener Gemeindebezirk platzte aus allen Nähten. Mit stürmischem Applaus wurde am Donnerstagabend der Referent aus Moskau begrüßt, der eine neue Vortragsreihe zu Ehren der vor einem halben Jahr ermordeten russischen Starjournalistin Anna Politkowskaja eröffnete: Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, mittlerweile Chef des Oppositionsbündnisses „Das andere Russland“.

„Lernen'S Geschichte, Herr Redakteur“, zitierte Kasparow an diesem Abend einen berühmten Sager des legendären österreichischen Bundeskanzlers Kreisky. Kasparows Empfehlung richtete sich freilich an die heutigen westlichen Staatsmänner, die von ihren Vorgängern den richtigen Umgang mit den Herrschenden in Moskau lernen sollten. Kernaussagen Kasparows an diesem Abend waren:

Über Anna Politkowskaja: „Sie wurde von den Opfern, deren Schicksale sie erzählte, geliebt und von den Behörden, deren Verbrechen sie enthüllte, gehasst. Sie zeigte auf, wie sich Russland unter Putin zum Polizeistaat entwickelte. Ich weiß den Namen von Annas Mörder nicht, kenne aber seine Adresse.“
Über Boris Jelzin: „Er hat gewiss Fehler gemacht, aber er hat niemals die individuelle Freiheit attackiert. Wenn die Russen deshalb des diese Woche verstorbenen Jelzin gedenken, erinnern sie sich an die Freiheit, die sie inzwischen wieder verloren haben.“
Über den russischen Geheimdienst: „Als ich vor ein paar Tagen zum Geheimdienst zitiert wurde, hingen im Verhörzimmer zwei Porträts: das von Putin und das von Tscheka-Gründer Feliks Dscherschinskij. Unser Geheimdienst heißt heute FSB. Der russische Geheimdienst ändert zwar ständig seinen Namen, aber seine Natur bleibt immer gleich.“
Ist Russland eine Diktatur? „Das heutige Russland ist sicher keine Diktatur wie Maos China oder Stalins Sowjetunion. Putins Russland ist ein Polizeistaat mit einem autoritären Regime. Das Land befindet sich in etwa auf derselben Stufe wie Robert Mugabes Zimbabwe oder Alexander Lukaschenkos Weißrussland. Aber eine klassische Diktatur ist es noch nicht.“
Über die zwei ungleichen Russlands: „Wir haben heute zwischen 15 und 20 Millionen Russen, die sehr gut leben, die wohlhabend sind und regelmäßig ins Ausland reisen können. Und wir haben 120 Millionen Russen, die arm sind und die sich fast nichts leisten können. Früher oder später wird diese arme Masse die richtigen Fragen zu stellen beginnen.“
Westlicher Umgang mit Putin: „Es ist dringend an der Zeit vor allem für die westlichen Politikern, die Dinge, wie sie sich in Russland entwickeln, offen beim Namen zu nennen. Zu Schweigen heißt, dem Geschehen in Russland zuzustimmen. Wenn aber die westlichen Politiker Putin weiter alles durchgehen lassen, machen sie sich zu Komplizen des Verbrechens. Der Westen muss die Menschenrechtsverletzungen viel lauter ansprechen, in Russland konnten wir Euch zuletzt nicht mehr hören. Es ist dabei nicht so, dass Kritik an Putin die russische Bevölkerung verletzt, sie verletzt einzig sein Regime. Putin wird gehen, aber Russland wird immer bleiben.“
Über die Ziele der Opposition: „Alles, was wir verlangen, sind freie und faire Wahlen und Respekt vor der Verfassung, in der auch die Demonstrationsfreiheit festgeschrieben ist. Ich selber werde 2008 nicht als Präsidentschaftskandidat antreten. Es ist besser, wenn ich der Koordinator unseres Oppositionsbündnisses bleibe.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2007)

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